: „Dieser Mann ist ein Mörder“
■ Der Holocaust-Überlebende Isaak Krauthammer ist entsetzt über ein „Spiegel“-Interview mit dem Ghetto-Chef Peter Grubbe
Wien (taz) – Die Wiener Portiers kennen Isaak Krauthammer. Und wen die Portiers der großen Hotels im Vorbeigehen grüßen, der ist etwas in dieser Stadt. Krauthammer hat ein Juweliergeschäft am Graben, gleich neben dem Stefansdom. Als er 1945 nach Wien kam, hatte er nichts. Er war der einzige Überlebende seiner Familie, die im jüdischen Ghetto von Kolomea (Ostgalizien) von den Nazis umgebracht wurde.
Gestern saß Krauthammer auf der Terrasse des Wiener „Ambassador“ und las den Spiegel. In einem Interview mit dem Magazin sagt der Mann, der das Ghetto einrichten ließ, er habe sich nichts vorzuwerfen, er sei mit sich „im reinen“. Der linksliberale Journalist und Buchautor Peter Grubbe, der unter seinem echten Namen Claus Peter Volkmann Kreishauptmann von Kolomea war, wurde vom Spiegel nach seiner Vergangenheit befragt: Die taz hatte in einem Report über die Identität von Grubbe und Volkmann berichtet. 30.000 Juden waren im Ghetto von Kolomea verhungert oder erschossen worden oder von dort in das Vernichtungslager Belzec deportiert worden. Ghetto-Chef Volkmann alias Grubbe streitet jede Verantwortung dafür ab. Er habe vielmehr versucht, Juden zu retten. Zu seinem Wandel vom Ghetto-Chef zum engagierten publizistischen Kämpfer für die Dritte Welt erklärt nun Grubbe: „Ich sehe das nicht als Wandel, sondern als konsequente Fortsetzung meines Weges. Damals konnte ich einzelnen helfen. Jetzt versuche ich vielen zu helfen – wenn auch nur mit Büchern und Filmen.“
Isaak Krauthammer ist fassungslos. Auf Anordnung Volkmanns hatte man ihn als 18jährigen ins Ghetto gesperrt, zwei Jahre lebte er dort, täglich den Tod vor Augen. Eine Schwester wurde dort erschossen, die andere, zusammen mit seiner Mutter auf einem Transport umgebracht. Davon und von den vielen anderen Verbrechen erfahren die Leser nichts. Krauthammer: „Dieser Mann ist ein Mörder, glauben Sie mir, ein Mörder.“
Das Bild, wie Volkmann zusammen mit den Chefs der Gestapo im Auto dem Abtransport von Juden beobachten und dann in ihrem Wagen dem vollgestopften Lkw zur Erschießungsstelle folgen, wird Krauthammer nie wieder los. Unter den Erschossenen war seine ältere Schwester.
Peter Grubbe selbst ist gelassen. Der Spiegel, sagte er am Wochenende der taz, habe ihm „zwei Freunde“ zum Interview vorbeigeschickt. Und im übrigen verstehe er überhaupt nicht, warum die taz über seine Vergangenheit berichte: „Ich stehe Ihnen doch politisch nahe. Ich bin Grünen- Wähler.“ Philipp Maußhardt
Morgen in der taz: Das Überleben des Isaak Krauthammer im Ghetto. Der Schriftsteller Edgar Hilsenrath über seine Familie in Kolomea.
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