berliner szenen: Diese Woche Pflaume
Im Selbstbedienungscafé muss man an diesem spätsommerlichen Nachmittag anstehen. Sechs Frauen und ein Mann halten in der Schlange gebührend Abstand. Es sieht aus, als würden sie jeweils für zwei bestellen. An den Einzeltischen im Garten sitzen verteilt einige Männer, die auf ihre Handys starren. Manche wirken gehemmt, als würde ein Blick in die nähere Umgebung sie vor unangenehme Aufgaben stellen. Sie rühren sich erst, wenn sie die Kuchengabel in Griffweite vor sich haben.
Nachdem die Frau das vollbeladene Tablett abgestellt hat, startet bei einigen die Beziehungsdynamik. „Warum hat das denn so lange gedauert?“ „Der Kaffe ist bestimmt schon kalt.“ „Ist das etwa Ökokuchen?“
Nur einer der wartenden Männer verwickelt seinen Nachbarn in ein Gespräch. „Darf ich mal fragen, wie alt Sie sind?“ Brummel, brummel. „Dann bin ich fünf Jahre älter, ich bin 81. Und Sie sind bestimmt auch schon ganz lange verheiratet.“ Brummel, brummel. Der Ältere lässt sich nicht irritieren in seiner aufgeräumten Kontaktaufnahme. „Finden Sie es nicht auch bewundernswert, dass unsere Frauen das schon so lange aushalten mit uns?“
Jetzt hebt der Brummler ruckartig den Kopf, seine Miene changiert zwischen Befremden und Neugier, aber er sagt kein Wort.
„Doch, gucken Sie mal, wie die Frauen anstehen. Und sich auch alles merken. Dabei bestellen wir doch immer etwas anderes, ich wollte heute Pflaumenkuchen, letzte Woche Käse. Und dass sie auch das Geld immer schnell parat haben, damit es nicht so lange dauert. Und gucken Sie mal, wie die das auf dem Tablett balancieren, da verrutscht nichts, das ist gar nicht so einfach, wie es aussieht.“
Diese Hymne kann der Brummler nicht länger aushalten, er presst einen ganzen Satz raus: „Soll ich sie etwa dafür küssen?“ Ja.
Claudia Ingenhoven
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