: Diebesgut
■ "Jazz in the garden" in der Nationalgalerie
VERSTOHLENER GESANG
„Jazz in the garden“ in der Nationalgalerie
Die Erweiterung des Kunstbegriffs ist am Freitag nachmittag in der Nationalgalerie in eine neue Dimension eingetreten. Kunst ist, wenn man es unbemerkt schafft, aus einer bewachten, geöffneten Ausstellung ein großes Gemälde zu stehlen. So geschehen mit dem Portrait Francis Bacons aus der Julian Freud-Ausstellung.
Nach Verstecken des Bildes konnte der Dieb dann sogar noch einem Konzert im Garten der Nationalgalerie beiwohnen. „Jazz im Steinbruch“, so müßte eigentlich das Motto dieser langjährigen Konzertreihe lauten, der „Garten“ besteht ausschließlich aus Steinquadern, verziert mit ein paar Bronzeplastiken. Den Mittelpunkt des Hinterhofes bildet eine große viereckige Wasserfläche. Dieser Springbrunnen fordert jedes Jahr seine Opfer, diesmal fiel ein kleines Kind ins Wasser, das laut kreischend den Gesang von der Bühne unterstützte.
Die Errungenschaft, Kinder nicht nur mit auf Friedensdemos zu schleppen, sondern sie auch in frühester Kindheit mit Jazz zu konfrontieren, wird sich hoffentlich noch rächen. Später werden diese Kinder ihren Pädagogeneltern aus Protest nur noch „Modern Talking“ vordröhnen.
Dem Veranstalter sei vorgeschlagen, eine Kita einzurichten, den Brunnen abzudecken und endlich eine größere Lautsprecheranlage zu installieren. Dann wäre das Duo Aki Takase und Maria Joao nicht nur gut zu sehen, sondern auch zu hören gewesen. Die beiden Frauen spielen zumeist ruhige Balladen, die Pianistin Aki Takase begleitet die Sängerin unauffällig, deutet einen Rhythmus an, durchbricht ihn wieder. Maria Joao variiert die Klaviertöne, singt auf portugiesisch oder englisch, läßt ihre Stimme zum Saxophon werden, ihre linke Hand drückt die imaginären Tasten, dann kehrt sie zu einem Volkslied ihrer Heimat zurück. Entstehende Pausen nutzt die Pianistin zu Free-Jazz -Anklängen, bei denen sie eine Melodie auf den Tasten kleinhackt, um sie am Ende des Solos triumphierend wieder zusammenzufügen.
Bei einem Solotitel zeigt Maria Joao, daß man auch ohne Stimme singen kann. Ihr Atem wird zu lustvollem Stöhnen, geht über in ein Babykreischen, die ersten Worte mischen sich dazwischen und dann hört man eine Dampflock rhythmisch ihren Rauch ausblasen. Die Reise endet in einem Dorf in Portugal, wo die Leute ein altes Volkslied singen.
In der zweiten Band des Konzertes steht ebenfalls eine Sängerin im Mittelpunkt. Die Amerikanerin Cassandra Wilson singt vornehmlich in den tiefen Lagen, sie hat eine voluminöse Stimme mit der Wärme einer Soulsängerin. Mit ihrem Gesang führt sie die Band. Nur wenn Baß, Schlagzeug und Klavier auf sich allein gestellt sind, wird es schnell langweilig. Es kommt nicht zur freien Improvisation, die Titel haben Swing, aber keine Spannung.
Nach dem Konzert sah man eine Person unauffällig mit einem Gemälde zum Ausgang laufen.Andreas Becker
Nächsten Fr, 3.6., spielen Ernst Ludwig Petrowsky, Uschi Brüning; Nathan Davis, Joe Henderson, Nat Adderly, Woody Shaw Orchestra.
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