: Die völlige Erneuerung blieb ein Wunschtraum
■ Erneuerung der Humboldt-Uni, Teil 2: Die Vergangenheitsbewältigung ist vielfach steckengeblieben, doch herausgekommen bei der Erneuerung der Universität Unter den Linden ist ein detaillierter Strukturplan für den künftigen Aufbau — gegen den Willen des Wissenschaftssenators
Berlin. Aschfahl sitzt der früher mächtige und gefürchtete Professor P. da. Punkt für Punkt werden ihm die Schweinereien vergangener Tage vorgehalten: wie er Studenten aus der Uni verbannt und bei anderen dafür gesorgt hat, daß sie ins Gefängnis wanderten. Dieser Professor muß von unserem Institut verschwinden, darin sind sich die Versammelten einig. Aber er ist nur ein Extremfall. Je länger die Diskussion dauert, desto deutlicher kommt zum Ausdruck: Kaum jemand ist nichts vorzuwerfen.
Im Laufe der Diskussionen ziehen sich einige schwer belastete Personen freiwillig aus dem Institut zurück. Die anderen wollen sich noch einmal von institutsunabhängigen Experten überprüfen lassen. Das Fundament für den Neuaufbau aber ist die offene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. »Wir werden uns nie wieder benutzen lassen«, steht imaginär über jedem Arbeitszimmer des erneuerten Instituts.
So ählich muß sich Heinrich Fink das vorgestellt haben, als er die Parole von der inneren Erneuerung der Humboldt-Universität ausgab. Fink wollte die Universität erneuern, indem sich die Menschen in ihr erneuerten. Doch Finks Vorstellungen blieben Wunschträume. In der Geschichtswissenschaft schafften es Studenten mit Mühe und Not, daß ein Jahr nach der Wende erstmals eine institutsinterne Diskussion über die Vergangenheit anberaumt wurde. Konsequenzen hatte sie keine. In der Rehabilitationswissenschaft hatte die Personal- und Strukturkommission (PSK) 103 Gespräche mit den Mitarbeitern geführt. Alle gaben an, nichts mit der Stasi zu tun gehabt zu haben. »Ohne jeden Zweifel hat ein Teil dieser Leute uns belogen«, folgert eine Studentenrätin.
Ein Mitarbeiter der Verwaltung konstatiert nüchtern: Vom Geist des Runden Tisches sei an der Humboldt-Universität nichts mehr übriggeblieben, so daß eine offene Auseinandersetzung über die Vergangenheit nicht mehr stattfinden könne. Wo nach der Wende noch guter Wille, Rede- und Zuhörbereitschaft da waren, sind sie durch die Abwicklungsgelüste der Westberliner Wissenschaftsverwaltung und die daraus resultierenden Existenzängste der Humboldt-Beschäftigten längst vertrieben worden.
Dennoch hat die Humboldt-Universität Anstrengungen zur eigenständigen Erneuerung ihres Wissenschaftsbetriebes unternommen wie keine andere DDR-Universität. Nachdem ein Jahr lang kaum etwas geschehen war, hatte sie sich zur Jahreswende 1990/91 unter dem Druck drohender Abwicklung zur Einrichtung von Personal- und Strukturkommission durchgerungen. Die sollten an allen Fachbereichen das Personal auf seine künftige Tauglichkeit hin durchleuchten. Herausgekommen ist etwas anderes: ein detaillierter Strukturplan für die Neuordnung der Universität. »Das größte Verdienst dieser Arbeit ist«, so Bert Flemming vom Akademischen Senat, »daß sie fast alle Mitarbeiter dazu zwang, sich mit dem künftigen Aufbau der Universität zu beschäftigen. 90 Prozent der Mitarbeiter ist nun bewußt, welche Veränderungen nötig sind. Ein großes Verdienst der Universität.«
Den Beamten der Wissenschaftsverwaltung wäre es viel lieber gewesen, wenn sich die Uni dieses Verdienst nicht erworben hätte. Sie hätten am liebsten die Uni-eigenen Arbeiten am Neuaufbau verboten. In schlechter preußischer Tradition hat die (West-)Berliner Wissenschaftsverwaltung auch früher schon immer darauf geachtet, daß die Universitäten möglichst eng am Gängelband der Verwaltung geführt werden. Da mußte es geradezu wie eine Provokation wirken, daß ausgerechnet die Ex-DDR-Universität Unter den Linden mit ihren Personal- und Strukturkommissionen eigene Zukunftsplanungen anstellte. Nur weil Wissenschaftssenator Manfred Erhardt die Kommissionen halbherzig tolierierte, konnten sie ungestört weiterarbeiten. Das Ergebnis war eine Ohrfeige für die Wissenschaftsverwaltung: Die hatte am grünen Tisch ein eigenes Papier zusammengestellt, das unhaltbar war, als es mit dem Kommissionspapier der HUB konfrontiert wurde. So sah es einen Abbau von mehreren hundert Stellen vor, der nicht durchführbar war. Im Kuratorium wurde das Humboldt- Papier angenommen. Nicht einmal Wissenschaftssenator Erhardt wagte es, dagegen zu stimmen.
Gleichzeitig mit der Strukturplanung bewerteten die Humboldt- Kommissionen das Personal, ob jemand politisch belastet ist, leistungsfähig ist und ob es Bedarf für ihn oder sie gibt. Die Erfolge waren in den einzelnen Fachbereichen unterschiedlich. Die Rechtswissenschaftler waren die ersten, die (mit zum Teil unfeinen Methoden) ihren Fachbereich säuberten. Veterinärmediziner und Chemiker fanden zielsicher heraus, wer politisch belastet war. Die Theologen und die Charité hingegen schafften es nicht, ihr Personal zu evaluieren. Viele von denen, die ein Negativ-Votum erhielten, sitzen allerdings immer noch an der Universität. Führende Kommissionsmitglieder machen dafür den Senat verantwortlich. Wenn der Senat die Arbeit der PSK anerkannt und den positiv Evaluierten eine Übernahme ermöglicht hätte, dann wäre es nach ihrer Ansicht jetzt leichter, die anderen aus den Fachbereichen herauszudrängen.
Daß die Humboldt-eigenen Erneuerungsbemühungen in den PSK qualifiziert waren, hat sich bei der Arbeit der nun vom Senat eingerichteten Berufungs- und Strukturkommissionen gezeigt. (Die sind für die Berufung neuer Professoren verantwortlich.) Viele von ihnen greifen auf die PSK-Arbeiten zurück. Und: In den Berufungskommissionen sitzen zum Teil dieselben Leute wie in den vom Senat beargwöhnten PSK. Für Bert Flemming hat der schlechte Ruf der Humboldt-Universität weniger mit ihrer mangelnden Erneuerungsbereitschaft zu tun als vielmehr damit, daß sie es gewagt hat, mit der Politik um eigenständige Wege ihrer Erneuerung zu streiten. Winfried Sträter
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