„Die verkaufte Braut“ an Berlins Staatsoper : Eine Unterleibsaffäre

Das böhmische Dorf von Smetanas „Die verkaufte Braut“ wurde in der Berliner Staatsoper in die Vitrine gestellt. Leider hat das den Dirigenten völlig aus dem Takt gebracht.

Anna Samuil als Marenka vor böhmischer Kirche. Bild: Staatsoper Berlin

„Fridrich“ steht als Vorname in der Geburtsurkunde des böhmischsten aller böhmischen Komponisten. Der deutschstämmige Smetana musste erst mit Mühe tschechisch lernen, bevor er sich - in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts - an ein Textbuch des tschechischen Radikaldemokraten und Revoluzzers Karel Sabina setzte.

Sabina hatte eigentlich nur an eine Operette gedacht, doch Smetana schrieb dazu eine Musik von solch volkstümlicher Kraft, dass sie bis heute zum festen Bestand des Repertoires aller Opernhäuser der Welt gehört. Doch dieser Erfolg hat seinen Preis. Niemand kann "Die verkaufte Braut" ohne das romantisch verklärte böhmische Dorf auf die Bühne stellen, das genauso zu ihr gehört wie der rasend schnelle Orchesterhit der Ouvertüre.

Das ist das Problem. Wenn man das Dorf weglässt, ist diese Oper tot, wenn man es nachbaut, ist sie kitschig, und reif für den Musikantenstadel im Fernsehen. Denn natürlich lebt sie von den volksliedhaften Ohrwürmern ihrer Arien und Tanznummern, mit denen der gelernte Tscheche mit typischem Konvertiteneifer beweisen wollte, wie urtschechisch er doch sei - schon zwanzig Jahre vor seiner "Moldau", die dann endgültig zum musikalischen Nationaldenkmal wurde.

Der Ungar Balázs Kovalik hat mit seiner Aufführung in der Staatsoper Berlin das Problem auf eine Art und Weise gelöst, die man nur genial nennen kann. Es geht los mit der berühmten Ouvertüre, mit der die Staatskapelle schon mal ihre standesgemäße Visitenkarte makelloser Virtuosität abgeben kann. Auf der Bühne öffnet sich dazu ein schwarzer Vorhang gerade so hoch, dass nur Beine und Unterleib von allerlei Figuren zu sehen sind.

Sie feiern die in der Partitur vorgeschriebene Kirchweih, tanzen in den üppigen Trachtenröcken und engen Beinkleidern eben jener nationalen Bauern-Romantik, von der aber jetzt nur die ständig zappelnden Unterleiber zu sehen sind. Denn nur darum aber geht es ja in diesem Stück, das von den Geschäften eines Kupplers erzählt. "An ihm ist alles wohlgebildet" wird er später singen, und "in der Liebe kein Versager".

Vasek ist gemeint mit diesen Worten, die der leider mit einer reichlich dünnen Stimme ausgestattete Bass Pavlo Hunka singt. Wenn am Ende der Ouvertüre der Vorhang hochfährt, sitzt er da, dieser Vasek, und kritzelt eine Sonne, einen Wald und Tiere auf einen Zeichenblock auf dem Knie, der offenbar mindestens ein iPad ist, weil das Ergebnis in Realzeit als Video auf die Bühnenrückwand projiziert wird. Es verblasst bald hinter einer Fototapete, die ihrerseits ein geradezu atemraubendes Spitzenprodukt moderner Digitaltechnik ist: ein gut zehn Quadratmeter großes Riesenformat, das in gestochener Schärfe und Leuchtkraft ein Waldtal zeigt. Es ist so hyperrealistisch schön, dass man glaubt, auch noch Smetanas "Aus Böhmens Hain und Flur" darin zu hören, wenn nicht gar seine unvermeidliche "Moldau".

Das böhmische Dorf in der Vitrine

Davor stellt sich der Chor auf, teils als romantische Bauern kostümiert, teils in modernem Straßenzivil. Wir sind hier wie dort, weil wir im Museum sind, denn nun betritt das Paar die Bühne. Nein, es wird herein gerollt, eingeschlossen in zwei Glasvitrinen wie sie in Museen gebräuchlich sind, um besonders wertvolle Schätze auszustellen. Anders als dort dürfen Anna Samuil als Marenka und Burkhard Fritz als Jenik ihren Käfig verlassen, um ihre Liebe zu besingen, aber die Vitrinen bleiben. Neue kommen hinzu, für die historische Wohnstube, den Bauernhof, die Kirche. Das notwendige Dorf ist da und fern zugleich, und so spielt sich diese Oper fast von selbst.

Leider singt sie sich nicht fast von selbst. Zumindest in der Premiere am Samstag Abend war das seltsame Schauspiel eines Dirigenten zu erleben, der den Takt verliert. Ein Orchester wie die Berliner Staatskapelle, eines der besten der Welt, kann natürlich Smetana ganz alleine spielen. Und das taten sie auch, hinreißend sogar, aber Karl-Heinz Steffens am Pult wusste offenbar nicht, wie ihm da geschah. Er vergaß völlig, den Solisten und dem Chor das Tempo wenigstens mitzuteilen, das ihm diese Virtuosen im Graben vorgaben.

So verwackelte beinahe alles, was auf der Bühne gesungen wurde, und das in einem Ausmaß, das sich bei so erfahrenen Leuten, wie dem Chor und den Ensemblemitgliedern der Staatsoper nur erklären lässt, wenn man weiß, dass Sänger in der Oper nicht nach Gehör singen dürfen, um das Tempo zu halten. Weil die Töne des Orchesters früher im Saal ankommen als auf der Bühne, wären sie dann immer zu spät. Sie sind deshalb absolut auf den Dirigenten angewiesen, denn es hier offen hörbar nicht gab.

Berührende Komik

Schade für diese wunderbare Regie, die das Werk nicht nur vor seiner eingebauten Folklore rettet, sondern ihm mit feiner Personenzeichnung auch seine etwas spröde, aber immerhin menschlich berührende Komik zurück gibt, die sonst unter der ständigen Volkstanzerei leicht untergeht. Das liegt vor allem daran, dass Kovalik die Figur des Vasek die heimliche Hauptrolle spielen lässt. Ein stotternder "Blödian", so nennt ihn sogar seine Mutter. Das ist er hier nicht, sondern ein vernachlässigtes Kind aus der zweiten Ehe eines grausamen Großbauern, das sich stotternd nach Liebe sehnt, weniger des Unterleibs als der Seele.

Der Tenor Florian Hoffmann, der schon in Strawinskys "Rake's Progress" das Schillertheater zum Jubeln brachte, singt diesen behinderten Menschen so wundervoll zart, dass er zum emotionalen Schwerpunkt des Stücks wird, das damit eine melancholische Tiefe gewinnt, die sonst kaum zu hören ist. Und weil Smetana für diesem Vasek ohnehin stotternd wiederholte Töne in die Noten geschrieben hat, gehen seine Einsätze auch unter diesem Dirigenten einigermaßen pannenfrei über die Bühne.

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