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„Die träumen nur davon, auch mich zu kaufen“

Südkoreas bislang größter Regierungsskandal enthüllt Korruption in Politik und Wirtschaft/ Baukonzern verteilte Bestechungsgelder in Höhe von 2,5 Millionen Mark/ Auch Mitglieder der Oppositionspartei und Journalisten kassierten  ■ Aus Seoul Georg Blume

In einer Nachtbar in Seoul um Mitternacht. Kein Schummerlicht und keine Cocktails, dafür das einfache Arbeiterbier und der gewöhnliche Algensnack. Draußen die südliche Vorstadt — ein schwarzes Meer ärmlicher Holzhäuser, durchrissen von gigantischen Betonsilos. Die Wohnverhältnisse in den Außenbezirken von Seoul sind katastrophal. Kim Sun Yong wohnt hier mit Frau und drei Kindern in einer kleinen 3-Zimmer- Eigentumswohnung, und ist damit noch gut bedient. „Die Wohnung taugt nur zum Schlafen“, meint Kim, fügt aber hinzu: „Gut, daß ich mir keine bessere leisten kann.“

Familienvater Kim ist Millionen wert — seit Ausbruch des größten Korruptionsskandals der südkoreanischen Nachkriegsgeschichte sogar noch mehr. Zwar bleibt Kim seiner kleinen Nachtbar treu, trinkt sein Bier und verzichtet auf die neue Luxuswelt von Seoul. Aber tagsüber leitet er die Fernsehredaktion im wichtigsten koreanischen Nachrichtenprogramm. Seine Sendungen entscheiden über den Skandalverlauf. „Was wir über die Affaire bringen, ist nicht entscheidend. Es genügt völlig, daß wir die Schweinereien täglich erwähnen, damit die Leute wütend bleiben“, ist sich Kim seines Einflusses sicher. „Die träumen ja nur davon, auch mich zu kaufen. Sie würden mir eine Villa bauen.“

Tatsächlich stehen die Medien in diesen Tagen im Zentrum eines für die Südkoreaner bislang unvorstellbaren Skandalgeschehens. Nicht nur Präsidentschaftsberater, Kabinettsmitglieder, Parlamentsabgeordnete, Parteisekretäre, Gewerkschaftler, Aufsichtsräte und Bürgermeister steckten die Millionenschecks des Immobilienriesens Hanbo in die eigene Tasche; die Journalisten der größten Zeitungen taten ein Gleiches obendrein. Kein Wunder, daß das Volk von Seoul an jeder Straßenecke schimpft. Südkoreas junge demokratische Elite, kaum drei Jahre in Amt und Würden, hat sich gründlich diskreditiert. Kim Sun Yong macht da eine seltene Ausnahme.

Die Affäre begann als simples Bauvorhaben. Im Südosten der Hauptstadt hatte der Bauriese Hanbo Grünland aufgekauft und eine Bauerlaubnis beantragt. Ein Komplex von 4.000 Appartment-Wohnungen sollte entstehen. Und die Stadt Seoul bewilligte das Vorhaben alsbald. Inzwischen ist freilich bekannt, daß Hanbo Bestechungsgelder in der Höhe von 2,5 Millionen DM verteilte, wofür das Unternehmen die Einwilligung des Bürgermeisters von Seoul, des Bau- und Wirtschaftsministeriums und nicht zuletzt das Einverständnis von Regierungs- und Oppositionspartei erlangte. Die Staatsanwaltschaft, sonst für ihre Untätigkeit im Korruptionsgeschäft bekannt, konnte nicht länger zusehen, wie sich eine Reihe von kleinen, aber detaillierten Presseberichten langsam zu einem handfesten Skandal addierte. Also ließ der Staatsanwalt verhaften. Gleich fünf Parlamentsabgeordnete — drei von der Regierungspartei und zwei von der Opposition — kamen hinter Gitter, zudem ein ehemaliger Präsidentschaftsberater, ein hoher Beamter des Bauministeriums und schließlich der Vorsitzende der Hanbo-Baufirma in Person. Auf den juristischen Zugriff folgte dann die unvermeidliche politische Säuberungsaktion.

Präsident Roh Tae Woo feuerte den populären Bürgermeister von Seoul, entließ Bau- und Wirtschaftsminister und verfügte wichtige Personalwechsel in der Regierungspartei. Er versprach außerdem eine bitter nötige Gesetzesreform zur Parteifinanzierung. Niemand in Südkorea, nicht einmal mehr die Regierungspartei, vermag im Hanbo-Skandal einen bedauerlichen Ausnahmefall zu erkennen. „Ein persönlicher Sekretär des Präsidenten und der Generalsekretär der Regierungspartei zeichneten Hanbo-Akten mit ihrem persönlichen Stempel“, berichtet Chang Yoon Hwan, Leitartikelschreiber der regierungskritischen Tageszeitung 'Hankyoreh Shinmun‘. Sein Fazit: „Präsident Roh Tae Woo war unterrichtet. Für Oppositionführer Kim Dae Jung läßt sich mit 50prozentiger Wahrscheinlichkeit das gleiche sagen. Dies ist ein Fall struktureller Korruption.“ Changs tägliche Leitspalte genießt in Seoul derzeit besondere Popularität. Als einzige führende Tageszeitung hat es die 'Hankyoreh Shinmun‘ ihren Mitarbeitern grundsätzlich verboten, Gelder von Industriellen, Politikern und Regierungsbehörden anzunehmen.

Kein Politiker, nicht einmal die Intellektuellen des Landes wissen einen Ausweg aus der Misere. Für sie ist Kim Dae Jung der große Verlierer im Hanbo-Skandal. Ausgerechnet in der Stunde der größten Erniedrigung für Präsident Roh vermochte der historische Oppositionschef keine Alternative zu bieten und stand selbst auf der Bank der Angeklagten. „Seit dreieinhalb Jahren leben wir in der Demokratie. Seither darf auf den Märkten spekuliert werden. Seither fließt Geld in die Politik. Es gilt die Parole: Bereichere sich, wer kann. Davon werden die Reichen reicher und die Armen ärmer“, resümiert Park Chang Rae, Wirtschaftsressortleiter der 'Dong-A Ilbo‘, einer der ältesten Zeitungen Koreas. Sogar in diesem Blatt, das eine der alten Niststätten von Demokratie und Opposition ist, ist ein heftiger interner Streit darüber entbrannt, welcher Journalist von welcher Firma wieviel Geld kassiert hat.

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