: Die schwarze Hochburg wankt
Der Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen war immer eine sichere Bank für die CDU. Dieses Jahr könnte sich das ändern, was auch am Kandidaten Thomas Bareiß und seinen Positionen zum Klimaschutz liegt. Im beschaulichen Landstrich mischen AktivistInnen den Wahlkampf auf. Das gefällt nicht allen.
Von Rüdiger Sinn↓
Während einer Wahlkampfveranstaltung mit Friedrich Merz im oberschwäbischen Bad Saulgau spricht Thomas Bareiß auf dem gut gefüllten Marktplatz über Wirtschaftspolitik. Als Bareiß die erneuerbaren Energien erwähnt, strecken AktivistInnen im Publikum Plakate in die Höhe: „Klimabremser abwählen!“ Es entstehen einige kleinere tumultartige Szenen: ParteianhängerInnen mit größeren Wahlplakaten von Thomas Bareiß versuchen die „Klimabremser“-Plakate zu überdecken, bevor Fotos gemacht werden. Eine junge Frau lässt sich nicht beirren, streckt immer wieder das Plakat in die Höhe. Bareiß reagiert nervös, verhaspelt sich, als Zwischenrufe kommen. Er zitiert die Aufschrift falsch, verschluckt Worte: „Mehr Klimaschutz“, liest er. „Ja, lassen Sie uns über Klimaschutz sprechen.“
Er sei stolz, was die Bundesrepublik in den vergangenen 16 Jahren geschafft habe. „50 Prozent unseres Stroms stammt aus erneuerbaren Energien. Das hat kein anderes Land geschafft“, sagt er. Applaus aus dem Publikum, das vor allem aus CDU-AnhängerInnen besteht. Dass Bareiß hier jedoch mit falschen Angaben hantiert, twittert nicht nur ein taz-Reporter, der in der schwäbischen Provinz den Wahlkampfauftritt mitverfolgt. Ein kleiner Shitstorm folgt und auch die Presse reagiert. Laut statistischem Bundesamt wurde im ersten Halbjahr 2021 nur 44 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien produziert. Und laut Eurostat – dem statistischen Amt der europäischen Union – liegen im europäischen Vergleich Österreich, Schweden und dann Dänemark ganz vorne. Deutschland rangiert auf Rang 8, gleich nach Rumänien.
Woher Bareiß die Zahlen hat oder warum er das so sagt? Mehrere telefonische und schriftliche Anfragen von Kontext bleiben unbeantwortet. Zwei Tage nach dem Auftritt und nachdem die Unwahrheit ans Licht kam, spielt er allerdings in der „Schwäbischen Zeitung“ das Gesagte herunter. Er würde „normalerweise immer knapp 50 Prozent sagen“, beteuert er, außerdem hätte er beim Ländervergleich Industrienationen gemeint.
Greenpeace spricht vom „zwielichtigen Staatssekretär“
Bareiß, der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und Direktkandidat der CDU im Wahlkreis Sigmaringen-Zollernalb, sitzt seit 2005 im Bundestag. Gewählt wurde er in der ländlichen Region stets mit sehr hohen Zustimmungswerten. Beim ersten Anlauf holte er gar das beste Erststimmenergebnis in Baden-Württemberg (55,5 Prozent), 2013 erreichte er sogar 60,7 Prozent, das zweitbeste Erststimmenergebnis bundesweit. Der Wahlkreis erscheint da als ein g’mähtes Wiesle. Warum sich dann also bei der Wahl für die Landesliste bemühen? Thomas Bareiß hat darauf verzichtet. War er sich zu sicher?
Der kampagnenorientierte Online-Verein Campact mit Sitz in Berlin versteht sich als Bürgerbewegung und hat genau solche Bundestagskandidaten ins Visier genommen. „Wir haben alle Wahlkreise untersucht und geschaut, wo die einflussreichsten Politiker sitzen, die in der Klimapolitik gebremst haben. Dort, wo Gegenkandidaten eine realistische Chance haben, über die Erststimme gewählt zu werden, sind wir aktiv geworden. Das hat für den Wahlkreis Sigmaringen-Zollernalb gepasst“, sagt Damian Ludewig, Kampagnenleiter bei Campact. Nach einer Forsa-Umfrage, die der Verein in Auftrag gegeben hatte, liegt der Kandidat Bareiß mit dem Kandidaten der Grünen, Johannes Kretschmann (Sohn von Ministerpräsident Winfried Kretschmann), mit 31 Prozent gleichauf. Mitte August war das, sieben Wochen vor der Wahl, als die Union im bundesweiten Trend noch klar auf dem ersten Platz lag.
Einflussreich ist Bareiß ohne Zweifel: Greenpeace hat ein Schwarzbuch mit den „schlimmsten Klimabremsern der großen Koalition“ veröffentlicht. Bareiß taucht hier neben anderen SpitzenpolitikerInnen (Angela Merkel, Andreas Scheuer und Markus Söder) als „Hardliner“ und „zwielichtiger Staatssekretär“ auf. Mit dem energiepolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer, arbeitete Bareiß eng zusammen, bis Pfeiffer nach Lobbyismus-Vorwürfen und Kritik an seinen Aserbaidschan-Verbindungen im April dieses Jahres zurücktrat. Zu den Koalitionsverhandlungen 2013 präsentierten die beiden ein eigenes Konzept, das den Zubau von erneuerbaren Kraftwerken eingeschränkt hatte. Bareiß ist seit 2018 Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium unter Peter Altmeier und vertritt den marktliberalen Wirtschaftsflügel. Er war Mitbegründer des Berliner Kreises der Union, der in einem Papier von 2017 eine Kehrtwende in der Klimapolitik forderte. Dabei wurde der IPCC (zu deutsch „Weltklimarat“) als „Weltrettungszirkus“ verunglimpft und die Aufgabe des Zwei-Grad-Ziels gefordert.
Für die WählerInnen im Wahlkreis könnte ebenfalls von Bedeutung sein, dass sich Bareiß für ein umstrittenes Kalkabbaugebiet im Flora- und Fauna-Habitat Oberes Donautal ausspricht. Gleichzeitig gibt der Abgeordnete in der „Schwäbischen Zeitung“ zu Protokoll, wie sich der eigene ökologische Fußabdruck reduzieren lässt: „Die Heizung mal etwas runterdrehen, den wiederverwendbaren Eierkarton verwenden und Geräte ausschalten, statt in den Stand-by-Zustand zu versetzen.“ Man tut eben, was man kann!
Dass Campact, Abgeordnetenwatch und einige AktivistInnen den Wahlkreis aufmischen, gefällt nicht allen. Ein CDU-Mitglied, das sich zum Wahlkampfauftritt in Bad Saulgau eingefunden hat, findet den Angriff von Campact „ungehörig“. Thomas Bareiß stößt ins gleiche Horn. „Diese Form von persönlichen Angriffen, Unterstellungen, etc. habe ich noch nie erlebt“, sagt er der „Schwäbischen Zeitung“. Campact habe gezielt Abgeordnete der CDU und CSU ins Visier genommen und für „vogelfrei“ erklärt.
Die Axt an der Demokratie?
Derlei drastische Wortwahl und Vorwürfe weist Damian Ludewig von Campact als „absurd“ zurück, ebenso wie die Anklage des Abgeordneten, dass der Verein mit solchen Aktionen „die Axt an unsere demokratische Gesellschaftsform“ anlege. „Wir sehen das genau anders herum“, sagt er und spricht sich dafür aus, die Zivilgesellschaft stärker als bisher in Entscheidungsprozesse einzubeziehen: „Dass man dann seine demokratischen Rechte so gut wie möglich ausschöpft, indem man gut informiert wird, ist extrem wichtig für eine lebendige Demokratie.“
An Campact wird auch von den KommentatorInnen der „Schwäbischen Zeitung“ Kritik geübt. Die Aktionen erhalten da das Attribut „schmutzig“, eine „Kampagne mit G’schmäckle“ sei das, und die Wahlempfehlung für den grünen Kandidaten wird als „eindeutig grenzüberschreitend“ bezeichnet – mit der Begründung, dass sich der Verein als „parteipolitisch neutral“ bezeichnet. „Wir behaupten nirgendwo, wir seien politisch neutral“, entgegnet hierzu Ludewig: „Wir haben ja dezidierte politische Vorstellungen, zum Beispiel, dass wir für mehr Umweltschutz und mehr Demokratie sind.“
Campact hat den ersten Schritt gemacht, andere springen auf. Zum Beispiel das Klimabündnis Bodensee-Oberschwaben. Bei einer Wahlkampf-Veranstaltung in Sigmaringen protestieren etwa 15 AktivistInnen mit Trillerpfeiffen und halten ein großes Banner mit der Aufschrift „Stoppt Klimakiller Bareiß“ nach oben. Bareiß wirkt auch hier nervös, dreht sich auf der Bühne am Ufer der Donau immer wieder nach hinten, schaut auf die andere Donauseite, wo die Protestierenden stehen. Kurz zuvor hat er in seiner Rede – wie zwei Tage später in Bad Saulgau – ebenfalls von 50 Prozent erneuerbaren Energien gesprochen, die Deutschland schon ins Stromnetz einspeisen würde.
Der kleine Haufen der Protestierenden ist überschaubar, aber über die Landkreisgrenzen vernetzt. Die Grünen aus dem Landkreis Sigmaringen sind dagegen bei Aktionen gegen Bareiß fast wie vom Erdboden verschluckt. Wahrscheinlich dazu beigetragen hat, dass der Kreisverband sich dagegen entschieden hat, die Kampagne von Campact zu unterstützen, um sich nicht angreifbar zu machen.
Unzufriedene Schwaben
Ortswechsel nach Sigmaringen-Laiz. Die „Schwäbische Zeitung“ und die Landesanstalt für politische Bildung haben zur Podiumsdiskussion geladen. Johannes Kretschmann, der aussichtsreiche Gegenkandidat, hat es nicht weit und ist zu Fuß gekommen. Mit seinem Outfit könnte er im politischen Berlin für ein wenig Furore sorgen: Der 43-Jährige zeigt sich meist mit dunklem Anzug, Baskenmütze, Hemdkordel und Hohenzollernwappen am Revers. Auf seiner Internetseite begrüßt er mit „sei mir gegrüßt, Freund und Fremde“. Beim Gespräch am Ende der Veranstaltung auf einer Parkbank wirkt Kretschmann, der für die Grünen bereits im Kreistag Sigmaringen sitzt, gelöst und in Plauderlaune. „Die Menschen begegnen mir sehr offen im Wahlkreis“, sagt er.
Zwei Tage später, Meßkirch, Gasthof Bärenschenke. War Günther Oettinger früher ein Publikumsmagnet auf den Marktplätzen im Südwesten, zieht er heute nur noch knapp 50 Menschen an. Thomas Bareiß aber setzt auf Politikprominenz. Als die Veranstaltung begonnen hat, tragen zehn AktivistInnen wieder ein großes Banner mit der Aufschrift „Stoppt Klimakiller Bareiß“ gut sichtbar zwischen Gasthof und Biergarten vorbei. Bareiß reagiert unsouverän. „Campact aus Berlin ist wieder da“, sagt er, möchte wohl einen Seitenhieb platzieren. Eine Aktivistin entgegnet: „Mir send Schwaben von hier und mit Ihrer Politik unzufrieden.“ Nebenan bedankt sich eine Passantin: „Danke, dass ihr gekommen seid!“
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