: Die prügelnde Gottesmutter
■ Max Ernst und „Das Rendezvous der Freunde“ in Köln
Zwei wichtige Gemälde, zwei Hauptwerke des Malers, fehlen in der großen Retrospektive, die die Stuttgarter Staatsgalerie anläßlich des 100.Geburtstags von Max Ernst zeigt. Von seiner ironisch-klerikalen Abrechnung mit den traumatischen Kindheitserinnerungen an den streng katholischen Vater, die Ernst in seinem Bild Die Jungfrau verhaut den Menschensohn von 1926 festhielt, mochte sich das Kölner Museum Ludwig ebensowenig trennen wie vom großformatigen Gruppenporträt Au rendez-vous des amis (Das Rendezvous der Freunde, 1922). Nicht konservatorische oder sicherheitstechnische Bedenken führten zur Kölner Absage an den Stuttgarter Organisator und Marx- Ernst-Spezialisten Prof. Werner Spies. Die Zurückhaltung hatte pragmatische Gründe: Beide Bilder sind die zentralen Hauptwerke einer kleinen Gegenausstellung, die das Museum Ludwig selbst zeitgleich zur großen Geburtstagsretrospektive geplant hatte. Das Rendezvous der Freunde ist denn auch der Titel der anspruchsvoll angelegten bildmonographischen Multimedia-Schau in Köln. Sie stellt Max Ernst in den Kontext jener Maler-, Dichter- und KünstlerfreundInnen, die er auf seinem ersten Ölbild nach dem Umzug von Köln nach Paris 1922 in der französischen Hauptstadt verewigt hatte.
Das naiv anmutende, fast lebensgroße Gruppenbildnis porträtiert nicht allein Max Ernst seelenverwandte intellektuelle Freunde, unter ihnen die Maler Hans Arp, Johannes Theodor Baargeld und Giorgio de Chirico und die Dichter Louis Aragon und Paul Eluard mit Gattin Gala, der späteren Ehefrau und Muse Salvator Dalis; das Gemälde markiert kunsthistorisch vor allem den Übergang von der längst im Auseinanderbrechen begriffenen Dada-Bewegung hin zum neuen Surrealismus. Mit blaurotem Cape und erhobener Hand ist deshalb André Breton, der Verfasser des bahnbrechenden Surrealistischen Manifestes, eine der zentralen Figuren des Bildes.
In dessen Mitte thronen vor einer irrealen Landschaft zwischen Gletschern und Sonnenfinsternis neben Max Ernst selbst die Poeten und surrealistischen Vordenker Jean Paulhan und Benjamin Péret. Um sie herum hat Ernst zwei von der Gruppe bewunderte Vorbilder postiert: Während er selbst sich auf der Leinwand Seite an Seite mit Dostojewski porträtierte, blickt der Renaissancemaler Raffael Paul Eluard über die Schulter — auch er ein Erneuerer der bildenden Kunst. Das Rendezvous der Freunde ist damit zugleich Kunstdokument wie programmatischer Arbeitsauftrag an die Porträtierten: Es galt, im Geiste Raffaels und Dostojewskis eine neue Kunstform zu schaffen. Erst zwei Jahre später sollte Breton ihr den Namen „Surrealismus“ geben.
Den mühevollen Weg der Pariser Avantgarde dokumentiert die Kölner Ausstellung auf bislang ungekannte Art und Weise. „Wir haben während der Vorbereitung das Museum wieder als Forschungsinstitut begriffen“, faßt Ausstellungsleiterin Evelyn Weiss die mehrjährigen Vorarbeiten zusammen. Wie Max Ernsts Rendezvous-Bild ist auch die um es herum konzipierte Schau als Collage der unterschiedlichsten Geistes- und Aussdrucksströmungen angelegt. Mit Hilfe von Bildern und Büchern, Fotografien und Manuskripten, Zeichnungen und Dokumenten gelingt das Experiment, den Besuchern einen Eindruck von jener spirituellen Aufbruchstimmung im Paris der zwanziger Jahre zu vermitteln. Das Unterbewußte wurde damals als Quelle schöpferischer Inspiration entdeckt und erforscht. Rauschzustände und Realität konnten zur künstlerischen Einheit verschmelzen. Hypnosesitzungen und spiritistische Séancen zur Erweiterung des Bewußtseins waren an der Tagesordnung.
In Köln wird Max Ernst bewußt als Maler unter vielen begriffen. Sein Weg aus der 1919 mit Baargeld gegründeten Kölner Dada-Filiale ins brodelnde Paris bildet trotzdem den roten Faden. Selten gezeigte Ernst- Werke, wie etwa der am Bibeltext orientierte See Bethesda, Jugend- und Lehrzeichnungen belegen, wie aus dem katholischen Brühler Künstlersohn zunächst der Kölner „Dadamax“ wird. Mit nie zuvor gezeigten wiederentdeckten Werken der verschiedenen anderen Künstlerinnen und Künstler aus rheinischen Privatsammlungen dokumentiert die Ausstellung außerdem die Zusammenarbeit mit Hans Arp und Sophie Täubner, mit Angelika Hoerle und dem Bankierssohn Johannes Theodor Baargeld. Flugblätter, Briefe, Aufsätze und Bücher aus dieser Zeit vermitteln den geistesgeschichtlichen Hintergrund.
Durch ein Tor führt der Ausstellungsweg dann nach Paris, in die zwanziger Jahre und zu den Pariser Dadaisten, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits hoffnungslos zerstritten hatten. Francis Picabia ist mit großformatigen Gemälden, Man Ray mit den für ihn so typischen Schwarzweißfotografien repräsentiert. Grafische Arbeiten von Salvator Dali, vor allem aber die in den Vitrinen ausgestellten Erstausgaben der zeitgenössischen Schriften von Breton und Aragon, Soupault und Crevel, Desnos und Arp dokumentieren den Wunsch nach einer neuen Kunstrichtung, die Breton 1924 im Surrealistischen Manifest auch offiziell propagiert. Der Surrealismus ist geboren.
Als einem seiner maßgeblichsten Verfechter ist der Abschlußraum dann wieder Max Ernst gewidmet. Umrahmt von Frottagen — unter ihnen die bislang unbekannte das meer und die sonne — hängt hier an der Stirnseite das berühmte Hochformat Die Jungfrau verhaut den Menschensohn vor drei Zeugen. Gleichgültig beobachten Paul Eluard, André Breton und Max Ernst durch die Mauerfenster, wie Maria dem sich heftig wehrenden Jesus das bereits rote Gesäß versohlt. Des Menschensohns Heiligenschein ist auf den Boden gefallen, in einer Ecke leuchtet er sich vor sich hin. 1928 wurde das Bild in Köln ausgestellt. Nach Protesten der Kirche mußte die Max-Ernst-Ausstellung damals wenige Tage nach ihrer Eröffnung geschlossen werden, dem Künstler selbst wurde die Exkommunizierung angedroht.
Wer sich dem Max-Ernst-Jubiläumsrummel nicht entziehen kann, sollte übrigens abwarten, bis die Stuttgarter Retrospektive im Herbst nach Paris weiterwandert. Denn dort wird nach Ende des Kölner Rendezvous der Freunde auch die prügelnde Gottesmutter als Leihgabe dabei sein. Stefan Koldehoff
Max Ernst: Rendevous der Freunde , Museum Ludwig, Köln, bis 8.9., der Katalog hat 352 Seiten und kostet 48DM.
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