: Die prophetische Klarheit der Rosa Luxemburg
■ Morgen pilgern wieder Zehntausende ans Grab von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zur Gedenkstätte in Friedrichsfelde. Vor 80 Jahren wurden die beiden Revolutionäre ermordet
„Oh gemach! Wir sind nicht geflohen, wir sind nicht geschlagen. Und wenn sie uns in Bande werfen – wir sind da, und wir bleiben da! Und der Sieg wird unser sein.“ Siegesgewiß gab sich der Revolutionär Karl Liebknecht in einem Artikel der Zeitung Rote Fahne am 15. Januar 1919, vor 80 Jahren – einen Tag später war er tot, der „Spartakus-Aufstand“ Berliner Arbeiter in einem Blutbad niedergeschlagen. Ein schwarzer Tag.
Und mit Liebknecht starb auch die wichtigste Frau an der Spitze der deutschen Arbeiterbewegung, Rosa Luxemburg. Wie jedes Jahr werden morgen wieder Zehntausende auf dem Friedhof Friedrichsfelde in Lichtenberg an der Gedenkstätte der Sozialisten zusammenströmen, um eben dieser beiden, „Rosa“ und „Karl“, zu gedenken: gemeuchelt von einer blutrünstigen Soldateska.
Der Mord an Rosa Luxemberg war um so tragischer, da er in die Zeit der Kämpfe fiel, die die marxistische Theoretikerin abgelehnt hatte: Die Politikerin, geboren 1870 im polnischen Teil Rußlands, war Anfang November 1918 nach langer Haft in die Hauptstadt gekommen. Der Kaiser hatte den Weltkrieg verloren, durch Deutschland zog die Revolution.
Liebknecht war wie Rosa Luxemburg die Jahre zuvor die meiste Zeit hinter Gittern gewesen, eingesperrt wie sie, weil sie den Krieg ablehnten. Doch diese Weitsicht wurde nicht belohnt. Während ihre früheren SPD-Parteigenossen unter Friedrich Ebert, legitimiert durch revolutionäre Arbeiter und Soldaten, mit dem „Rat der Volksbeauftragten“ die Macht übernahmen, blieben Liebknecht und Luxemburg weitgehend außen vor:
Zum reichsweiten Rätekongreß vom 16. bis 20. Dezember 1918 im heutigen Berliner Abgeordnetenhaus erhielten beide kein Mandat. Die Delegierten beschlossen Wahlen zur Nationalversammlung für den 19. Januar 1919. Sie waren weniger revolutionär, als Luxemberg und Liebknecht dies erhofften. Enttäuscht gründeten die beiden deshalb zum Jahreswechsel 1918/19 die KPD. Die KPD stellte sich an die Spitze des Aufstands, der in den ersten Januartagen ausbrach. Rosa Luxemburg, unterlegen in ihrer Partei, hielt nichts von diesem Kampf und eine Niederlage für unvermeidlich. Doch vor allem aus Parteiräson unterstützte sie die Aufständischen dann doch.
Gustav Noske, im Rat der Volksbeauftragten verantwortlich für das Heer, wütete durch die Reichshauptstadt mit Regierungstruppen und „Freikorps“, die meist aus heimkehrenden Truppenteilen bestanden. Es waren Soldaten, die oft die ganze Revolution ablehnten: Konterrevolutionäre und Monarchisten gaben vor, Revolution und Demokratie zu beschützen.
Luxemburg und Liebknecht wurden gejagt und mußten von einem Quartier ins nächste fliehen. Am Abend des 15. Januar spürte eine Wilmersdorfer Bürgerwehr sie auf und übergab sie „zum Verhör“ den Offizieren der „Garde-Kavallerie- Schützen-Division“, die im Hotel Eden ihr Stabsquartier eingerichtet hatte.
Mit Sprüchen wie „Röschen – da kommt die alte Hure!“ wurde Rosa verhöhnt und gegen Mitternacht in ein Auto gebracht. Dort wurde sie bewußtlos geschlagen und dann mit einem Kopfschuß, abgegeben aus unmittelbarer Nähe, von einem Offizier ermordert. Ihre Leiche wurde in den Landwehrkanal geworfen – heute erinnert ein Denkmal bei der Lichtenstein-Brücke am Zoo an die Stelle, wo dies wohl passierte.
Karl Liebknecht wurde ebenfalls in einen Wagen geschafft und im Tiergarten „auf der Flucht“, wie es hieß, erschossen. Der Organisator der Morde, Hauptmann Waldemar Pabst, starb 1970 als geachteter Bürger der Bundesrepublik.
Rosa Luxemburg wurden in der DDR zwar als Quasi-Heilige verehrt, und zur jährlichen Demonstration im Gedenken an sie und Liebknecht kamen stets Hunderttausende. Die SED aber erlaubte nicht die vollständige Edition ihrer Schriften. „Sie wurden unterdrückt, weil Rosa Luxemburg mit prophetischer Klarheit bereits die ersten gefährlichen Schritte zur Beseitigung der innerparteilichen Demokratie, die später zum Stalinismus führten, erkannt und schärfstens kritisiert hatte“, sagte der Vater der DDR-Dissidenten, Robert Havemann, 1965. Und bei der Luxemburg-Demo 1988 wurde dies eindrucksvoll bestätigt, als Bürgerrechtler ein Transparent mit einem Spruch Rosas entrollten: „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“, stand dort. Philipp Gessler
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