■ Die populäre Konzertführerin: Tischtennis und blaue Wunder
Daß sich Männer den Damen gegenüber wie die letzten Trampel benehmen, ist ja nichts Neues. Da gibt's nur eines: lernen. Nachhilfe gleich heute abend: Nicky und Rachel aus Newcastle singen mit mitreißender Ehrlichkeit und Intensität von Gefühlen, Männern und den von ihnen verursachten Schwierigkeiten. Ihre Pop-Perlen produziert das Damen-Duo mit Vorliebe im heimischen Schlafzimmer. Als Film würden sie wohl „Abgeschminkt“ heißen, heute abend gastiert die Konzertversion der authentischen Weiblichkeit unter dem Namen All because the lady loves im Lagerhaus. 21 Uhr.
Wer schon immer mal im Radio zu hören sein wollte, hat die beste Gelegenheit dazu am Samstag. Die Pata Horns, eine der eigenwilligsten Bläsercrews der Republik, gastieren im Kito in Vegesack. Zugleich hat sich Radio Bremen angekündigt, um das Konzert der Kölner für die Ewigkeit auf Tonband zu bannen. Wer den Innenraum des Kito kennt, weiß, daß nirgends sonst ein wohlplaziertes „Hallo Mutti!“ so gute Chance hat, deutlich hörbar über den Äther zu schallen. 20 Uhr.
Am Sonntag geht es um einiges heftiger zur Sache: vier Österreicher firmieren unter dem einladenden Namen Der Kurort. Eine CD und diverses Kleinvinyl hat das Quartett schon unter der Regie des österreichischen Tischtennislegende Tiberiju unter das Volk gebracht, alle gespickt mit cleverem Hardcore. Zwischen sinister Schleppendem und fröhlichem Geprügel verbraten die Jungs alles, was gefällt, solange es sich mit wüst verzerrten Gitarren spielen läßt; daß dazu Kritisches in Österreichischer Mundart gegrölt wird, macht die Steiermärkler noch interessanter. Der Kulturschock lauert zu den szeneüblichen Anfangszeiten kurz vor der Geisterstunde (?) im Jugendzentrum in der Friesenstraße.
Daß es vieleicht doch einen lieben Gott oder sowas wie Gerechtigkeit gibt, beweist die Existenz der Melvins. Nachdem im Zuge des allgemeinen Grungewahns so ziemlich jeder Amerikaner mit Major-Plattenverträgen versorgt worden war, der eine Gitarre richtig herum halten und eine Westküsten-Einwohnermeldebescheinigung vorweisen konnte, sitzt Atlantic Records auf dem immer noch erfreulich unverdaulichen und folglich fast unverkäuflichen Major-Debüt der Melvins. Die alte Slow-Motion-Krachlegende mit derzeitiger Wahlheimat San Francisco macht immer noch die Art von Gitarrenmusik, die Milch sauer werden läßt. Zwar ist ihr Zeitlupenlärm in gewisser Weise gerade sehr, sehr angesagt; wer sich aber am Montag um 20 Uhr ohne Vorkenntnisse ins Modernes wagt, weil hippe Szene-Päpste oder populäre Konzertführer dazu aufrufen, wird zurecht sein blaues Wunder erleben.
Lars Reppesgaard
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