■ Die populäre Konzertführerin: Ins Auge hauender Brautrock
Das übervolle Konzertprogramm erfordert am Freitag qualvolles Aussortieren. Chumbawamba, basisdemokratisches Musikantenkollektiv aus England, verbinden musikalisch Eingängiges aus der heilen Welt des Pop mit listigen Rockelementen und haben ihre Live-Qualität schon auf mehreren Deutschland-Touren unter Beweis gestellt. Und weil die Britinnen und Briten nebenbei auch noch politisch Eindeutiges zwischen Anarcho-Syndikalismus und sympathischem Weltverbesserertum in die Songs mischen, macht das Mitsingen der hymnischen Refrains doppelt Spaß. Die politisch korrekteste Art zu tanzen also ab 20 Uhr in der Kesselhalle im Schlachthof.
Traurig, aber so richtig schön traurig sind dagegen The Convent. Nach einem fantastischen Debütalbum auf dem Strangeways-Label, das wehmütige Erinnerungen an die schaurig-schöne Blütezeit der Grufties weckte und mit gefühlbetonter Keyboard-Romantik verzauberte, tritt die junge deutsche Band mit Adrian Borland im Vorprogramm auf. Klarer Fall von Generationswechsel – Borland war mit seiner Band The Sound einst Vorreiter des romantischen Düstersounds, ohne den es The Convent wohl kaum geben würde. Wer denn nun trauriger und schöner ist, zeigt sich ab 21 Uhr im Römer.
Die coolsten Frauen der Welt rocken zur selben Zeit ein paar Meter weiter im Lagerhaus: Die Braut haut ins Auge aus Hamburg. Im erklärten Lieblingsexil aller Hamburger wartet lässiger, charmanter Rock ohne stumpfe Klischees, aber dafür mit Düdel-orgel und prima Texten zwischen rausgekehrtem, selbstbewußtem Schlampentum und listig gelösten Alltagssorgen.
Auch Samstag ist dicht gepackt. Im Buntentorsteinweg geben sich ab 21 Uhr ein Haufen lässiger Zuspätgeborener ein Stelldichein. Mystreated nennen sich vier von ihnen, prächtige Vorzeigeexemplare der aktiven Neo-Sixties-Szene. Laut, kaputt und simple – das ist die Zauberformel für Trash-Beat ohne Roststellen. Stewed schlagen in die selbe Kerbe, haben eine verdammt gute Single im Studio von Billy Childish mit originalem Uraltequipment aufgenommen und schaffen es, an die großartigen Sonics zu erinnern. Für eine andere Art der Sechziger-Verehrung stehen dagegen Hey Baby aus Hannover. Statt des Wilden, Rauhen liegt der Akzent des Quintetts mit der Quietscheorgel auf dem Songwriter-Element. Raus kommen dabei ein Haufen kleiner Popperlen im Sound von damals. Dazu gibt sich Joe Bloek, Psychedelic-Fossil von der Leine, die seltene Ehre – ein Mann, der gerne Jonathan Richman wäre, und auch fast so verschroben aussieht. Wer's nicht glaubt: Besichtigung ab 21 Uhr im Lagerhaus.
Und wem der Sinn nach den Neunzigern steht, muß am Sonntag ab 19 Uhr ins Aladin, wenn East 17 mit ihrem zeitgemäß mit Soulsprenkseln aufgepeppten Radio-Pop wieder einmal einen Haufen guter Gründe dafür liefern, sich der Sechziger als doch gar nicht mal so schlechte Zeit zu erinnern. Lars Reppesgaard
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