Die neue Liegenschaftspolitik: Revierkampf um Berlins Zukunft
Der Senat hat versprochen, gute Immobilien nicht mehr nur zu verscherbeln. Ob er es ernst meint, wird sich beim Verkauf eines Polizeireviers zeigen.
Einen Schlüssel haben Josephine Becker und Caroline Rosenthal noch nicht, wohl aber einen Grundstücksplan. „6.000 Quadratmeter groß ist das Gelände“, schwärmt Rosenthal, „da kann man richtig viel drauf machen.“ In die alte Polizeiwache in der Rathausstraße sollen Wohnungen, in den Zellentrakt Ateliers, auf der Freifläche soll eine Kita mit 50 Plätzen entstehen. „Rathausstern Lichtenberg“ nennen Becker, Rosenthal und ihre 30 Mitstreiterinnen und Mitstreiter das Projekt. Es hat gute Chancen, realisiert zu werden.
Seit Februar steht die Polizeiwache des Abschnitts 64 leer. Die Polizei hat ihre Lichtenberger Abschnitte in einem Neubau zusammengelegt. Nun wird die Wache, eine neogotische Bausünde des späten 19. Jahrhunderts, samt umliegendem Grundstück zum Verkauf angeboten. Zurzeit gehört sie der landeseigenen Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), das Vergabeverfahren soll der Liegenschaftsfonds (Lifo) organisieren.
Am Mittwoch soll über die Zukunft der Rathausstraße 12 auf der monatlich stattfindenden Steuerrungsrunde des Lifo verhandelt werden. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung will den Fall zu einem „Lackmustest für eine neue Liegenschaftspolitik“ machen, wie Baustaatssekretät Ephraim Gothe (SPD) der taz sagte. „Wir werden uns dafür einsetzen, dass es hier ein Konzeptverfahren gibt.“
Ein Konzeptverfahren statt eines Bieterverfahrens, bei dem der Meistbietende den Zuschlag bekommt: Das ist der Kern eines Liegenschaftskonzepts, das Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) und Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) Ende September unterzeichnet haben. Damit hatten beide Kontrahenten nach zweieinhalb Jahren Streit einen Kompromiss gefunden. Beim Verkauf landeseigener Grundstücke soll nicht nur der Verkaufspreis eine Rolle spielen, sondern auch das soziale, ökologische und städtebauliche Konzept. Einzige Ausnahme: Grundstücke landeseigener Gesellschaften wie etwa der Berliner Stadtreinigung. So wurde etwa die Vergabe des BSR-Grundstücks an der Holzmarktstraße noch nach dem Höchstgebot geregelt. Ein Prüfstein für eine andere Liegenschaftspolitik war das noch nicht.
Neben Gothe unterstützt auch der Bezirk Lichtenberg die Initiative um die „Rathausstern“-Leute. Vor allem der Kita-Neubau ist ihm wichtig. Das Viertel an der Frankfurter Allee, Ecke Möllendorfstraße weist in diesem Punkt ein besonders hohes Defizit auf. Mehr als 400 Plätze fehlen in Alt-Lichtenberg für das kommende Jahr, heißt es im Kita-Entwicklungsplan des Bezirks. Deswegen könnte mit Fördergeldern nahezu der gesamte Neubau finanziert werden.
„Insgesamt wollen wir hier 5 Millionen Euro investieren“, sagt „Rathausstern“-Aktivistin Josephine Becker. Neben der Kita, den Ateliers und Räumen und einem Café für die Nachbarschaft soll vor allem günstiger Wohnraum entstehen. „Wir rechnen mit Neubaukosten von 1.200 Euro pro Quadratmeter“, sagt Architekt Bernhard Hummel, der bereits in der Malmöer Straße an einem Neubau des Mietshäuser-Syndikats beteiligt war. Die Wohnungen im Neubau sollen 6,90 Euro netto kalt Miete pro Quadratmeter kosten, die Wohnungen im umgebauten Polizeigebäude 5 Euro. „Ein Teil der Wohnungen kann auch vom Bezirk für Bedürftige mit Wohnberechtigungsschein belegt werden“, sagt Becker.
Um Zeit für eine Ausschreibung zu schaffen, will Staatssekretär Gothe die Rathausstraße 12 am Mittwoch von der Tagesordnung nehmen. „Dann können wir zusammen mit dem Bezirk, der Wirtschafts- und der Finanzverwaltung an den Kriterien für eine Ausschreibung arbeiten“. Gothe legte allerdings Wert darauf, dass sich im Falle eines Konzeptverfahrens auch andere Initiativen bewerben können. „Das kann ein Wettbewerb um das beste Konzept werden.“
Das Gebäude in der Rathausstraße 12 wurde in den 1890er Jahren als Feuerwache gebaut. Später zog die Polizei ein. Anfang des Jahres wurden die Wachen Rathausstraße und Sewanstraße in der Nöldnerstraße zusammengelegt. Seitdem steht die Wache leer.
Der Eigentümer der Rathausstraße ist die landeseigene Berliner Immobilienholding BIM. Sie will das Gebäude über den Liegenschaftsfonds (Lifo) verkaufen.
Die Steuerungsrunde des Lifo muss entscheiden, ob es wie bisher ein Bieterverfahren gibt, bei dem der Meistbietende den Zuschlag bekommt. Möglich ist auch ein Konzeptverfahren, bei dem stadtentwicklungspolitische Gesichtspunkte eine Rolle spielen. In der Steuerungsrunde sitzen Vertreter des Senats und des Bezirks.
Dem Senatsbeschluss von Ende September zur Neuausrichtung der Liegenschaftspolitik ging ein langer Streit voraus. Seit dem Beschluss ist noch kein Grundstück nach einem Konzeptverfahren vergeben worden. Die Rathausstraße wäre der Anfang.
Der Rathausstern ist eine Initiative von 30 Personen, die aus der alten Polizeiwache ein neues kulturelles und soziales Zentrum in Lichtenberg machen wollen. Geplant sind Wohnungen, Ateliers, eine Kita und ein Park. (wera)
Die „Rathausstern“-Leute wollen sich einem solchen Wettbewerb gern stellen. „Uns ist es vor allem wichtig, dass dieses Gelände hier nicht mit Lofts bebaut wird“, sagt Caroline Rosenthal. Falls sie selbst den Zuschlag bekämen, wolle sich der „Rathausstern“ auch zum nahen Rathhauspark öffnen. „Das wird ein Treffpunkt für das ganze Viertel“, ist sich Rosenthal sicher.
Leser*innenkommentare
Tim Leuther
Gast
@"Nichtder Timmy"
Der Staat soll sein Geld für Sozialleistungen ausgeben. Die "kreative Klasse" soll ihre kosten gefälligst selbst verdienen! So wie jede Branche auch.
Künstler nebenbei werden es immer schwer haben Geld zu verdienen. Weil es immer einfach zuviele gibt. Wenn das mit dem Geld kein problem wäre, dann wären 50% der Bevölkerung künstler. Das Argument zählt also nicht.
Nichtder Timmy
Gast
Sehr geehrter Herr Tim Leuther,
da spricht es wieder das Blinde Vorurteil, der blinde Hass aufs unbekannte. Schön das Sie offensichtlich gerne an "Ateliers" VORBEIschleichen und sich in Ihrem Neid denken, buääääh alles Yuppies.
Aber möge ihnen gesagt sein, die ökonomische Realität der "subventionsabgreifen der pseudolinken Boheme" sieht ein wenig anders aus,... die wenigsten können von dem was sie tun und machen leben, und wenn sie zu den glücklichen 5-10% ihrer "kreativen Klasse" gehören, die mit ihrer Passion Geld verdienen dann sicher nicht, oder fast nicht, in der Stadt Berlin, auch wenn sie sich dort aufhalten. Die präkeren Nebenjobs gelten für diese genauso, wie für Sie als guter und tüchtiger Arbeiter.
Stratege
Gast
Die Frage, ob und an wen eine Immobilie verkauft wird, sollte an soziale Nachhaltigskeits-Kriterien geknüpft werden.
Was ist darunter zu verstehen?
1. Wird ein regionaler Wertschöpfungskreislauf erzeugt, der Arbeit und Einkommen schafft?
2. Werden stabile Formen der Beschäftigung geschaffen, die selbsttragend und selbstentwickelnd sind?
3. Werden soziale Faktoren, Zwecke und Nutzen mit getragen?
4. Kommen Investoren (Personen) zum Zuge, die in der Stadt ein "Gesicht" und von Personen getragenes Engegement haben?
5. Werden andere gewünschte Nutzungen verdrängt?
Tim Leuther
Gast
Was ist das für ein quatsch?
Wo ist denn die soziale Begründung für Ateliers? Das ist doch wieder so ein typischer subventionsabgreifen der pseudolinken Boheme. Wenn der Staat auf Geld verzichtet, dann bitte für soziale Zwecke. Ateliers gehören nicht dazu!