: Die narvativen Elemente herausarbeiten
■ Frißt nun auch das Wertgesetz seine Kinder? 4. Lieferung
In der vergangenen Woche fanden im Kino Kosmos an der Karl- Marx-Allee zwei Betriebsversammlungen des Berliner Glühlampenwerkes »Narva« statt. Leider war die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Auf der ersten Versammlung, geleitet von den beiden neuen West-Geschäftsführern Schlichting und Knop sowie vom Aufsichtsratsvorsitzenden, Rechtsanwalt Abshagen, ging es primär um die Beantwortung von »Alltagsfragen« der bisher noch Beschäftigten. Auf die weitergehende Frage, ob es für Narva endlich interessante »Investoren« gebe, erwähnte Abshagen nur vage ein »deutsch- schweizerisches Unternehmen«, mit dem man »im Gespräch« sei. Nicht erwähnt wurde ein japanisches Unternehmen, das der österreichische »Päpstliche Ritter« und engagierte Narva-Berater, Hegele, ins Spiel gebracht hatte, u.a. auch beim Aufsichtsrat, den er zuvor selbst mit installiert hatte.
»Diese Aktivität für Narva bereut Hegele mittlerweile: Der Abshagen hat sich sofort den vermeintlich stärkeren — Price-Waterhouse und Treuhand — angeschlossen«, meinte ein Narva-Mitarbeiter. Dabei muß sich das »Privatisierungsteam« der US-Unternehmensberatungsfirma bei seinen provisionvergüteten Narva-Verkaufsversuchen selbst energisch gegen die Siemens-Leute in der Treuhandanstalt durchsetzen, die intern auf eine Schließung des BGW drängten und nach außen hin allen potentiellen Narva-Käufern »signalisierten«, sie hätten ihre ehemalige Firmenzentrale am Warschauer Platz schon so gut wie übernommen. Gelingt es ihnen, dieses Hinhaltspiel noch eine Weile durchzuhalten, kann Osram sein ursprüngliches »Angebot« — die Übernahme von fünf Allgebrauchslampen-Anlagen samt Personal für 5 Millionen DM (die alte Geschäftsführung verlangte viermal soviel) — doch noch realisieren.
Zur zweiten Betriebsversammlung am Donnerstag waren alle die bereits auf Null-Stunden-Kurzarbeit gesetzten Narva-Mitarbeiter eingeladen worden. Für viele von ihnen waren am selben Tag auch die Kündigungen rausgegangen. Die neue Geschäftsführung wurde von ihnen darüber aufgeklärt, daß etliche Entlassungen in der »Glühlampe« nach eher zwielichtigen Kriterien vorgenommen worden waren. Es fiel wieder das Wort »alte Seilschaften«. Obwohl anscheinend und in aller Eile auch der »verdienstvolle Produktionsleiter« Janthur, entlassen wurde, zudem noch mit Hausverbot. Angeblich wollte er sich mit der japanischen Fließstrecke für Allgebrauchslampen, auf denen ein Westberliner Erfinder, Dieter Binninger, seine Langlebensdauerglühlampen herstellen ließ, selbständig machen. Diese sogenannten Binninger-Birnen hätten er, sein technischer Leiter Erwin und sein Einkaufsleiter Holzapfel ohne Kenntnis der Betriebsleitung produziert. Wie bereits mehrfach berichtet, war Binninger selbst am 5. März, eine Woche nachdem er bei der Treuhand sein Kaufangebot für Narva eingereicht hatte, mit einem Privatflugzeug abgestürzt. Heute findet auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof (West) seine Beerdigung statt.
Mit ihm scheint die von seiner Firma »Videor« und der Berliner Commerzbank angestrebte »Übernahme des BGW« gestorben zu sein, denn seine Erben wollen zwar weiterhin die Langlebensdauerglühlampen produzieren, aber sie werden sich wohl kaum auf das Abenteuer einer Narva-Sanierung einlassen können. Nicht nur die Commerzbank bedauert das, auch Price-Waterhouse fand Binningers Angebot »interessant«. Vor allem, weil der Unternehmer »mittelständisch« und »aus Berlin« gewesen sei. Dies von einer international operierenden Betriebs- Verkaufsfirma zu hören, überrascht etwas. Zumal sich der Sprecher im selben Atemzug über die Heimatschutzpolitik des Siemens-Osram- Konzerns beschwert hatte und darüber, daß man in Deutschland leider bei einem conflict of interest nicht so »risikoscheu« wie die Angloamerikaner sei.
Eine feine Anspielung auf das Vorgehen der einstigen Haupttreuhandstelle Ost, die seinerzeit schon mit dem Begriff »Abwicklung« operiert hatte? Auch für die Politik der Deutschen Bank und ihre Roland Berger GmbH gibt es Traditionslinien. Letztere hatte u.a. für Narva, und für 125.000 DM, ein erstes Sanierungskonzept erstellt. Ein »äußerst unseriöses«, wie Mitarbeiter des Gesellschaftlichen Rates, dem Vorläufer des BGW-Betriebsrates, finden, die auf Veröffentlichung sämtlicher Gutachten drängen. Narva-Berater Hegele ist der Meinung: Im August letzten Jahres hätte die Produktivität bei Narva im Vergleich zu Osram noch 50 Prozent betragen, heute sei sie »bei Null« (abgesehen von der Produktion sogenannter »Energie-Sparlampen«, für die Osram dem BGW unlängst eine Anlage im Wert von 20 Millionen verkaufte, die mit den damit hergestellten Lampen bezahlt wird). Eine andere Art von Rosinen-Rauspicken. Hegele wirft den Geschäftsführern, für deren Bestellung einem Vermittlungsbüro Neumann 200.000 DM »hingeblättert« werden mußten, vor, dieses asset-Stripping, wie man das »Filettieren« im Osten auch nennt, nur fortzusetzen. (Gerade wird das Narva-Hauptgebäude in der Ehrenburgstraße vermietet.) Das meiste Geld sei »in Gutachten« und »im Nebel« verpufft, meint Hegele.
Amerikanische und Schweizer Investoren beklagen sich zunehmend über ihre Wirtschafts-Attachés in der BRD, daß für sie nur »Krümel« in den neuen Ländern übrigblieben. »Die Japaner hätten dazu vielleicht auch Grund«, gibt man im japanischen Außenhandelsministerium zu, aber japanische Unternehmer würden das nie öffentlich tun, »schon gar nicht — wie die Amerikaner — laut schimpfen. Dazu sind die viel zu höflich.« Hegele jedoch, der sich für die Übernahme Narvas durch einen Tokioter Konzern einsetzt, verspricht: »Ich werde mit den Leuten in bezug auf Narva Krieg anfangen!« Ihm geht es vor allem um den Erhalt der Arbeitsplätze, ebenso auch Price-Waterhouse. Aber auch deren Sprecher räumt ein, daß sich die Reprivatisierung der VEBs nicht friedlich — am Runden Tisch gewissermaßen — machen läßt: »Da geht es knallhart nur um Profit. Da sind alle Spielarten erlaubt!« Selbst die, im 'Spiegel‘ dieser Woche einen verlogen-überheblichen Artikel abzudrucken, über den russischen Einkäufer des »Glühlampenkombinats Lisma«, dem die für den RGW-Export bei Narva zuständige Abteilungsleiterin Sonja Lehman ihre »Second-Hand-Fabrik« auf der Leipziger Frühjahrsmesse zum Kauf anbot — vergeblich.
Osram hat derweil den harten Kern der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Narva mitsamt seinen Patenten übernehmen können. Und die Maschinenbauabteilung hat sich unter der Leitung Dr. Bernickes mitsamt allen Blaupausen in die Frankfurter »Prolux GmbH« gerettet — jedenfalls vorläufig.
Der technische Direktor und sein Geschäftsführer befinden sich in Prag auf der Suche nach neuen Absatzmärkten. Der IG-Metall-Vertreter im Aufsichtsrat des BGW, Stirba, liegt krank im Bett. Viele Arbeiter überlegen sich, ob sie wieder aus der Gewerkschaft austreten sollen. Und die Montagsdemonstration auf dem Peter-Alexander-Platz fordert »Neuwahlen«. Die SPD (Vogel) gibt dafür der vierzigjährigen SED-Mißwirtschaft die Schuld, versichert aber (Stolpe), daß es in spätestens zwei Jahren gottlob aufwärts geht. Während Wirtschaftsminister Möllemann auf die sofortige Fähigkeit der Werktätigen zur »Demonstration von Zutrauen in die eigene Kraft« setzt,»weil sich sonst kein Investor aus Hamburg, Münster, London oder Tokio« trauen würde, in der DDR Arbeitsplätze zu erhalten bzw. neu zu schaffen. »Wenn hier nur noch Skepsis, Sorge und Protest auf der Straße regieren, bleiben die Unternehmer weg, auch wenn ihnen genug Geld geboten wird.«
Leider könnten selbst die fröhlichsten Mienen der Werktätigen nicht verhindern, daß im Osten aufgrund eines Überangebots ein »reiner Käufermarkt« entsteht, selbst für westdeutsche Firmen fallen jetzt schon die Preise. Das ist in dürren Worten der momentane Stand der Dinge. »BILD kämpft für Narva«
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