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Die menschen wollen nach den Chaotischen Nächten in hamburg wieder Autofahren, shoppen, Alltag. Ich verstehe diese Sehnsucht, aber Das geht auf Kosten der WahrheitWir brauchen keine Helden, wir brauchen Vernunft

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Ich war Tag für Tag auf der Straße und auf den Demos, habe diskutiert und mir Bilder angesehen, Filmausschnitte, Kommentare und Berichte gelesen, bis mir der Kopf schwirrte, mit Leuten gestritten, und jetzt bin ich erschöpft. Es ist keine angenehme Erschöpfung, wie nach dem Sport, obwohl ich viele Stunden und Kilometer gelaufen bin, es ist eine traurige Erschöpfung.

Wenn man sich dem nähern wollte, was an diesem Wochenende in Hamburg passiert ist, dann müsste man viele einzelne Geschichten erzählen. Man müsste die Geschichten aller Menschen erzählen, die dabei waren, die Geschichten der Demonstranten, die Geschichten der Steinewerfer, die Geschichten der Aufräumer und Feuerlöscher, die Geschichten der Anwohner, der kleinen Gewerbetreibenden, die Geschichten der Polizisten. Müsste man die Geschichten der Staatsmänner erzählen, die auf diesem Gipfeltreffen so wenig erreicht haben? Es ist so wichtig gewesen, auf die Straße zu gehen.

Ich habe im Fernsehen einen „Monitor“-Beitrag über die Afrika-Förderung gesehen. Demnach ist das Konzept der Bundesregierung kaum etwas anderes als ein privates Investmentmodell, das den afrikanischen Bauern ihr Ackerland nimmt, um Rendite zu machen. Will das noch jemand wissen? Ist das kein Grund, wütend zu sein?

Ich soll nicht wütend sein, wurde mir gesagt, oder meine Wut in diesen Tagen nicht zeigen. Denn Wut sei etwas Schlechtes, das sehe man ja an den Zerstörungen. Ich bin aber immer noch wütend. Ich bin so wütend!

Sehr viele Menschen haben sich wegen dieses Gipfels engagiert. Sie haben sich monatelang vorbereitet. Jugendliche aus dem ganzen Land haben sich zusammengefunden („Jugend gegen G 20“). Sie haben diskutiert und gestritten, sie haben sehr viel Arbeit in die Vorbereitung gesteckt, sie sind nicht die gleichgültige, konsumgeile Generation, von der immer die Rede ist. Aber was bleibt, ist das Bild von Steinewerfern und Autoanzündern.

Jeder hat seinen Standpunkt, seine eigene Geschichte, und die wenigsten sind bereit, etwas zu ändern, andere Geschichten anzuhören, die Vielschichtigkeit der Situation zu akzeptieren. Einfache Wahrheiten, das wollen die Menschen, nach diesen chaotischen Nächten. Und dann wieder ungestört Autofahren und Shoppen. Alltag. Ich kann ihre Sehnsucht verstehen. Aber dieser Wunsch geht auf Kosten der Wahrheit.

Ich bin an diesem Wochenende vor der Polizei weggerannt, ich hatte Angst um mein Leben. Ich habe gesehen, wie Polizisten gewaltsam gegen Menschen vorgingen. Mir hat das Herz geklopft, vor Angst und vor Empörung. Aber ich habe auch gesehen, dass Polizisten es schwer hatten. Dass sie angegriffen und angefeindet wurden, wo sie einfach nur ihre Arbeit getan haben, besonnen und vernünftig. Wir dürfen nicht pauschalieren, auch wenn es uns schwerfällt.

Dass jetzt in einer großen Anzeige des Hamburger Abendblattes die Arbeit der Polizei gelobt, Polizisten pauschal zu Helden stilisiert werden, das ist eine ebensolche unangebrachte Vereinfachung der Tatsachen. Einem Opfer von Polizeigewalt muss das ebenso höhnisch in den Ohren klingen wie einem verletzten Polizisten die Worte von Andreas Beuth von der Roten Flora.

Brauchen wir starke Männer, brauchen wir Helden? Wir brauchen Vernunft. Wir müssen unsere Wut auf die Verhältnisse sinnvoll kanalisieren. Langjährige linke Viertelarbeit auf St. Pauli ist in Gefahr gebracht worden durch diesen Mist. Menschen, die sich seit vielen Jahren in Projekten engagieren, fürchten nun Repressionen, sehen ihre Arbeit in Gefahr, werden jetzt angefeindet.

Was hat dieser Gipfel in Hamburg also gebracht? Wem hat der genützt? Den Menschen in Afrika nicht. Aber die Mitte der Gesellschaft ruft nach einer neuen Härte, die Duddes dieser Welt können sich die Hände reiben.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ erscheint im August bei Rowohlt Berlin.

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