piwik no script img

Die kubanische Bloggerin Yoani SánchezHandgreiflichkeiten gegen Blogger

Yoani Sánchez ist Kubas prominenteste Bloggerin. Jetzt ist eine Auswahl ihrer Vignetten über Alltag und Politik des kubanischen Sozialismus als Buch auf Deutsch erschienen.

Yoani Sánchez: Fidel Castro beschimpfte die Bloggerin als "undankbar". Bild: ap

Fernsehen, Radio, Zeitung sind prima Einrichtungen für einen Staat, der das Medienmonopol beansprucht. Sein sind die Sendeanlagen, die Chefredakteure, das Zentralorgan. Die Journalisten haben die Grenzen des Sagbaren verinnerlicht. Immer wieder versuchen Einzelne, Spielräume zu dehnen oder zwischen den Zeilen Mutiges unterzubringen. Aber auf die Hierarchien ist Verlass. So läuft im sozialistischen Kuba seit 50 Jahren nichts aus dem Ruder. Das staatliche Medienmonopol, Artikel 52 der Verfassung, ein Routinebetrieb.

Wenn da nicht das Internet wäre. Und mit ihm neue Medien, die sich nicht an die Grenzen des Nationalstaats halten und nicht an die Filterfunktion der etablierten Medien. In Kuba ist das Web kein Massenmedium, unkontrollierter Zugang ist rar. Trotzdem behandelt die Regierung nun nicht etwa einen Terroristen oder Menschenrechtsaktivisten als Staatsfeind Nummer eins, sondern eine schmächtige Philologin, die vor drei Jahren ein Internettagebuch begann, um ihre Dämonen - vorauseilendes Schweigen und Gleichgültigkeit - auszutreiben.

"So habe ich mit dem Bloggen begonnen, ohne mir darüber im Klaren zu sein, dass auch der harmloseste Mensch in manchen Situationen schon ein Seebeben auslösen kann, wenn er nur den Finger ins Wasser hält", schreibt Yoani Sánchez in der Auswahl ihrer Blogeinträge, die nun auf Deutsch in Buchform erschienen sind.

Bild: taz

Diesen Text und viele andere mehr lesen Sie in der aktuellen vom 27./28.3.2010 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.

Yoani Sánchez

1975 in Havanna geboren, studierte dort Spanische Literatur. Seit 2007 betreibt sie den Blog "Generacion Y". Für die sonntaz schreibt sie Beiträge in der Kolumne "Politik von unten".

Dieser ins Wasser gehaltene Finger hat Yoani Sánchez ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit gebracht. Ihr Blog "Generation Y" erhielt für seine lakonischen Betrachtungen über das Leben im kubanischen Sozialismus ein halbes Dutzend Auszeichnungen, darunter den Ortega-y-Gasset-Preis, den Oscar der spanischsprachigen Medienwelt.

Das amerikanische Magazin Time sortierte sie gar zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Für das offizielle Kuba ist all dies Beleg dafür, dass die Bloggerin nur eine Erfindung der kapitalistischen Medien ist, eine Marionette des Imperialismus etc. Politik und Medien leben von Personalisierung, auch in Kuba. Was der einen Seite Lichtgestalt, ist der anderen Hassfigur: Fidel persönlich beschimpfte Yoani Sánchez als undankbar, schließlich hätte sie ihre Ausbildung dem Sozialismus zu verdanken.

Doch wenn Yoanis Blog in Kuba ein Seebeben ausgelöst hat, dann eben weil es nicht um eine Person geht, auch nicht um diesen oder jenen Satz, sondern um Grundsätzliches: um das Recht auf öffentliche Rede. Um es mit Yoani Sánchez zu sagen: Meinungsfreiheit ist, wenn man auf der Straße ungefährdet rufen kann: "Hier gibt es keine Meinungsfreiheit!"

Solche Meinungsfreiheit ist für die sozialistische Staatsmacht nur Teil des Medienkriegs der USA. Revolutionäre Kubaner sind gehalten, alle Kontakte zu denen "auf der anderen Seite" zu vermeiden. Es ist, als ob man Radioaktivität ausstrahle, schreibt die Bloggerin.

Doch auch die kubanischen Intellektuellen, die sich innerhalb des Systems verorten, leben im Internet-Zeitalter, nutzen E-Mails, haben Meinungen. Nicht nur Regimegegner, auch Dutzende in offiziellen Institutionen betreiben persönliche Blogs. Hier, wo der Vorwurf der US-Hörigkeit nicht mehr greift, zeigt sich das ganze Drama des Konflikts zwischen Monopolanspruch des Staates und individuellen Bürgermedien.

Vor zwei Jahren wagte der damalige Kulturverantwortliche der Kommunistischen Partei, E-Mail & Co als "eine neue informelle Presse" zu begrüßen, die von der gesunden Aktivierung des Bürgersinns zeuge. Kurz darauf war er seines Postens enthoben. Kaum besser erging es dem Forum "Bloggers Cuba", das mit offiziellem Segen als Plattform für akzeptierte Blogger gegründet worden war. Schnell gab es Konflikte um die relativen Freiräume, zunehmend verstummten die Blogger, inzwischen ist die Seite abgeschaltet. The medium is the message, hatte der Kommunikationswissenschaftler McLuhan einst postuliert. In Kuba ist ein autonomes Blog schon allein als Medium eine Herausforderung des Artikels 52 der Verfassung.

Wenn Yoanis Blog nun als Buch erscheint, ist dies eine mediale Rolle rückwärts. Zumal auch ihr Blog im Netz seit Langem mit einer deutschen Übersetzung ausgestattet wird. Wozu also dieser Sprung ins "slow-medium" Print? Das Buch endet mit einer polizeilichen Vorladung, die inzwischen 15 Monate zurückliegt. Seitdem ist die Gangart gegen die Blogger rauer geworden. Keine formalen Gerichtsverfahren, stattdessen handgreifliches Vorgehen ziviler Sicherheitskräfte, organisierter Volkszorn zur Einschüchterung und mit keinerlei Gesetz begründete Verbote, an potenziell kontroversen kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen.

Parallel dazu ist auch Yoanis Blog konfrontativer geworden. Wo ein hungerstreikender Dissident in Haft gestorben ist, Kundgebungen der Angehörigen von Verhafteten zu Spießrutenläufen geraten, da weichen auch im Blog augenzwinkernde Alltagsbetrachtungen dem Schulterschluss der Opposition. Der Bloggerin erscheint inzwischen oft schon das Bloggen zu langsam. Das Neueste von Protest oder Verfolgung berichtet sie per Twitter im Sofortmodus.

Doch der Blick zurück durch das Blog als Buch schafft einen Verfremdungseffekt, der die Lektüre verändert. Niemand liest einen Blog zwei Stunden am Stück. So aber lenkt kein Link und keine aktuelle Meldung ab. Und Yoanis Texte behaupten sich bemerkenswert souverän im Sprung vom Web zum Papier. Die "radikale Subjektivität" ihrer Alltagsvignetten ist alles andere als eine, wie sie schreibt, auf ausgleichende Distanz bedachte akademische Analyse.

Wie eine Reisereportage führt sie über eine persönliche Perspektive in den Alltag und damit unweigerlich zur Politik; wie ein Tagebuchroman leuchten die Schilderungen des Geschehens die Persönlichkeit der Schreibenden aus. Ärgerlich nur, dass der Verlag dies unter dem plattestmöglichen Titel "Cuba Libre" vermarktet.

Yoani Sánchez: "Cuba Libre". Heyne, München 2010, 256 Seiten, 16,95 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • A
    Anna

    In Deutschland gibt es keine Meinungsfreiheit!!! Hört mich jemand? Kuba scheint das Eldorado für Regimekritiker zu sein, kaum sagt da jemand etwas negatives über die Regierungsform dort, wird es in die ganze Welt übersetzt und verbreitet.

    Übrigens liebe Taz wäre es toll, wenn sie mal über Honduras berichten würden, wo ihre Kollegen und andere ermordet werden, weil sie gegen die Putschregierung reden oder schreiben oder friedlich demonstrieren. Honduras Regierung ist z.B. von den USA mittlerweile anerkannt, trotz dieser massiven Gewalt gegen das Volk. Frau Sanchez kann seit Jahren schreiben und lebt immer noch. Ein Traum für viele Menschen auf der Welt: Lesen und schreiben zu lernen, Essen, Wohnung und Kleidung! Was gibt es da eigentlich noch zu meckern? Die Mehrheit der Menschen würde gerne tauschen. Unseren Luxus gibt es sowieso nicht für jeden, das erträgt die Erde einfach nicht.