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„Die iranische Opposition wird beseitigt“

■ Massenhinrichtungen in der islamischen Republik seit dem Waffenstillstand / Die taz sprach mit Angehörigen von Verurteilten / „Der Prozeß einer Gruppe von 50 Leuten dauerte zwei Stunden“ / Berichte über Streiks im Gefängnis

Von 1.140 Hinrichtungen politischer Gefangener im Iran nach dem Waffenstillstand ist in einem UNO-Bericht die Rede; am vergangenen Montag hat die offizielle iranische Nachrichtenagentur 'Irna‘ wieder neue Todesurteile bekanntgegeben. Die beiden Iranerinnen Nasdaran (30) und Mahin (37), die seit einiger Zeit mit ihren Kindern in Berlin leben, gehören zu denjenigen, die in den letzten Tagen erfahren mußten, daß Verwandte im Iran unter den Opfern der jüngsten Hinrichtungswelle sind.

taz: Nasdaran, wann hast du erfahren, daß einer deiner Angehörigen hingerichtet worden ist?

Nasdaran: Ich habe am Donnerstag die Nachricht erhalten, daß mein Cousin hingerichtet worden ist. Er ist im Jahre 1984 wegen seiner politischen Aktivitäten in Teheran festgenommen worden. Er war damals 33 Jahre alt und arbeitete als Techniker. Dann gab es einen Prozeß, aber es wurde keine Strafe festgesetzt. Das war nach dem Waffenstillstand, und da kein Todesurteil ausgesprochen wurde, gingen wir davon aus, daß er am Leben bleibt. Dann hat sich die Situation verschärft, und es wurden Leute hingerichtet, die beispielsweise zu lebenslänglicher Haft verurteilt oder bereits aus der Haft entlassen worden waren.

Wie verläuft ein Prozeß?

Nasdaran: Einer Gruppe von fünfzig Leuten wurde beispielsweise nach dem Waffenstillstand der Prozeß gemacht, das dauerte zwei Stunden, für jeden Gefangenen standen also zwei Minuten und 40 Sekunden zur Verfügung. Sie wurden gefragt, ob sie für oder gegen die Islamische Republik sind. Sie haben nicht geantwortet und bekamen Strafen zwischen 15 Jahren und lebenslänglich.

Kannst du von deinem Fall berichten?

Mahin: Mein Mann ist vor sieben Jahren in Teheran wegen seiner politischen Aktivitäten festgenommen und später zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt worden. Seit fünf Monaten habe ich nichts mehr von ihm gehört, denn seit dieser Zeit gibt es ein Besuchsverbot. Die Eltern meines Mannes, seine Schwester und andere Verwandte sind weiter jede Woche zu den üblichen Besuchszeiten gekommen, denn sie hofften, daß die Gefängnisangestellten wenigstens Geld für die Inhaftierten entgegennehmen. Dann erhält man nämlich eine Quittung, die vom Gefangenen selbst unterschrieben ist, und das ist ein Zeichen dafür, daß er noch lebt. Seit zwei Monaten wird nun für meinen Mann und andere Gefangene kein Geld mehr entgegengenommen...

Habt ihr von Protestaktionen im Iran zu der Lage der politischen Gefangenen oder den Hinrichtungen gehört?

Mahin: Ich habe von vielen Streiks in den Gefängnissen gehört, aber es gibt keine Beweise, weil es zu gefährlich ist, solches Material zu sammeln. Es gibt auch Familien, die Demonstrationen vor den Gefängnissen oder dem Justizministerium veranstalten. Dabei werden Leute festgenommen. Das Regime versucht aber auch zu verhindern, daß die Angehörigen sie treffen. Wenn ein Gefangener hingerichtet worden ist, wird die Familie aufgefordert, seine Sachen abzuholen. Früher mußte man zum Evin-Gefängnis gehen, heute wird man oft in das Büro eines Komitees in irgendeinem Stadtviertel geschickt.

Wie erklärt ihr euch die jüngsten Hinrichtungen, zu einer Zeit, wo im Ausland von einer Liberalisierung im Iran gesprochen wird?

Mahin: Die Islamische Republik will sich öffnen und Kontakte zum Westen aufnehmen. Aber ehe es soweit ist, muß erst die Opposition beseitigt werden, und dafür nutzt sie die Zeit. Danach kann man Beziehungen zu anderen Ländern intensivieren. Gleichzeitig soll die Bevölkerung eingeschüchtert und in Angst versetzt werden, damit niemand auf die Idee kommt, etwas gegen das Regime zu unternehmen.

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