: „Die industrielle Logik des Reifengeschäfts“
Conti-Hauptversammlung: 2.000 Aktionäre vor der Entscheidung ■ Aus Hannover Donata Riedel
Als Schicksalstag für den Reifenhersteller Continental war dessen außerordentliche Hauptversammlung am Mittwoch in Hannover allenthalben angekündigt, für deren Einberufung der nach seinen eigenen Worten „freie und ungebundene, aber kritische“ italienischen Aktionär Alberto Vicari gesorgt hatte. Hat Pirelli die Mehrheit der Aktionäre für eine Übernahme hinter sich? Gibt es eine Mehrheit für die Abschaffung des Stimmrechtsbeschränkung, die bei maximal fünf Prozent liegt (siehe nebenstehenden Kasten)?
Mit der Deutschen Bank, die ansonsten gerne das Prinzip „eine Aktie, eine Stimme“ vertritt, und den „befreundeten Unternehmen“ war über eine Abschaffung des Höchststimmrechts nicht zu verhandeln. Bei der Abstimmung über diesen Punkt 4 der Versammlung sollte es letztlich um ein Vertrauensvotum für Conti-Chef Horst Urban gehen. Wenn mehr als die Hälfte der Aktionäre dem ausdrücklichen Vorschlag von Vorstand und Aufsichtsrat, dessen Chef der Deutschbankier Ulrich Weiß ist, widersprechen würden, wäre das ein demonstrativer Auftrag, dem Kaufbegehren Pirellis nachzugeben. Entscheidungberechtigt waren die rund 2.000 anwesenden AktionärInnen, die 78,9 Prozent der Aktien vertraten. Auf der regulären Hauptversammlung 1990 waren genausoviele Aktionäre vertreten gewesen, damals allerdings nur für 58,7 Prozent der Aktien — immerhin ein Hinweis darauf, daß es zur Häufung von Aktien gekommen ist.
Bis Redaktionsschluß war allerdings nicht einmal der Beginn dieser Abstimmung abzusehen; das Votum für die Entscheidung pro oder contra Pirelli wurde für den späteren Abend erwartet. Die Redner, die sich für „die Öffnung“, sprich für Pirelli, aussprachen, erhielten jedoch etwas mehr Applaus. Die allgemeine Unruhe stieg beträchtig, als nach dem einstündigen Urban-Referat die nachfolgenden Redner eine gleichlange Redezeit für sich reklamierten, darunter auch der berühmt-berüchtigte Kleinaktionär Fiebich und ein Betriebswirtschaftsprofessor, der seinen StudentInnen das Aktienrecht praktisch nahebringen will — der Mann war dem Versammlungsleiter Weiss ebenfalls als Verlängerer derartiger Veranstaltungen bekannt.
„Fast wie ein Politiker“ (Vicari) warb Urban um Unterstützung seine Abwehrstrategie gegen Pirelli. Conti sei der einzige Reifenhersteller, der auch im zweiten Halbjahr 1990 noch Gewinne eingefahren habe. Es bestehe daher überhaupt kein Grund, die Gesellschaft „ohne Not“ an Pirelli abzugeben. Die Vorteile einer Fusion lägen einseitig bei Pirelli, dessen Reifengeschäft überteuert in das gemeinsame Geschäft eingebracht würde.
Für Gerd Silber-Bonz, Vorstand von Pirelli Deutschland, liegen die wahren Interessen der Conti-Aktionäre im Zusammenschluß. Der Vorschlag seiner Zentrale liege „in der industriellen Logik“ des Reifengeschäfts. Deshalb habe es auch Unterstützung aus der deutschen Industrie für die Fusion gegeben. Auch den Conti-Beschäftigten nütze diese in Wahrheit, weil sie deren Arbeitsplätze langfristig sichere. Selbstverständlich werde Pirelli das deutsche Mitbestimmungsrecht in der gemeinsamen Gesellschaft mit Sitz in Hannover beibehalten. Das alles mochte den Betriebsrat aber nicht überzeugen — mit einer Demonstration machten seine Mitglieder am Morgen den Aktionären noch einmal klar, daß sie Pirelli nicht wollen.
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