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■ Die hessischen Kommunalwahlen als ProtestwahlenDas „S“ grob vernachlässigt

Die rechtsradikalen „Republikaner“ haben bei den Kommunalwahlen in Hessen mehr als nur einen (Be-) Achtungserfolg erzielen können. Für Ministerpräsident Hans Eichel sind die Reps damit Teil des bundesdeutschen Parteienspektrums geworden: ein Grund zur Beunruhigung – aber kein Grund zur Panik oder zur Flucht in einen aktionistischen (hilflosen) Antifaschismus. Das „Vierte Reich“ ist auch nach dem Einzug der Reps in die hessischen Kommunalparlamente nicht in Sicht. Und „Nie wieder Deutschland!“ und „Nazis raus!“ bleiben weiter untaugliche Parolen bei der Volks(um)erziehung.

Mit ihrem Votum für die „Republikaner“ haben vor allem die Menschen an der Peripherie der (immer noch) Wohlstandsgesellschaft nicht unisono ihrer vermeintlichen rechtsradikalen Gesinnung in geheimer Wahl freien Lauf gelassen. Die Kommunalwahlen in Hessen waren echte Protestwahlen: kollektives Votum gegen die Skrupel- und Gedankenlosigkeit der politischen Klasse im Umgang mit all denen, die vom systematischen Sozial- und Arbeitsplatzabbau betroffen sind. Eine Ohrfeige für die Akteure auf der Bonner Bühne, die sich nicht der Mühe unterzogen haben, mit klaren politischen Vorgaben Gegenwartsängste abzubauen oder gar Zukunftshoffnungen zu wecken. Und das Wahlergebnis ist auch die Quittung für all die billigen und schmierigen Skandale und Skandälchen mit ihren lächerlichen Protagonisten, die nur noch abgelutschte Hohlformeln in Kameras schwätzen – egal ob sie der „Toskana“-Fraktion der SPD oder dem „Jet-set“-Flügel der Union angehören.

Daß es sich bei den Stimmen für die Reps mehrheitlich um Proteststimmen handelte, belegt das Beispiel der 60.000 Einwohner zählenden Opelstadt Rüsselsheim. Dort traten die „Republikaner“ nicht zur Wahl an, aber zwei Spaßguerilla-Listen aus dem linken Spektrum: Die Liste für „Nichtwähler, Erstwähler und Protestwähler“ (NEP) und die Liste „Rüssel“. Beide obskuren Gruppierungen haben am Sonntag auf Anhieb den Sprung ins Stadtparlament geschafft. Und die SPD hat, im Landestrend liegend, so ordentlich verloren wie dort, wo die Reps angetreten sind. Die nächsten Monate werden zeigen, ob die (noch) großen Volksparteien die Signale aus Hessen richtig deuten. Gefordert sind vor allem die Sozialdemokraten, die ihre „klassische“ Klientel auf den Altären der Mittelklasse geopfert haben. Das „S“ bei der SPD sei grob vernachlässigt worden, analysierte Eichel gestern die Lage. Bleibt zu hoffen, daß es Engholm, Lafontaine und Schröder wieder ordentlich pflegen, bevor Schönhuber 1994 zum „Marsch auf Bonn“ bläst. Klaus-Peter Klingelschmitt

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