DEBATTE: Die gute, alte Wut
■ Warum vierzehn männliche Senatoren und eine Richteranhörung dem Feminismus in den USA wieder neues Leben eingehaucht haben
Als sie Dienstag im Empfangsraum des Senats umherliefen und darauf warteten, ob sie den zermürbenden Test ihrer politischen Schlagkraft bestanden hatten, da schien den Vorsitzenden der Frauenorganisationen doch etwas schwindelig zu werden: zehn, 15 oder 20 Jahre haben die meisten für ihre Ziele gearbeitet — haben die juristischen Fakultäten besucht, für politische Ämter kandidiert, sich in die Machtzirkel hineingekämpft und schließlich die begehrten Attribute derjenigen ergattert, die dazugehören. Sie sind pragmatisch. Sie sind effektiv. Sie sind vernünftig. Doch spätestens seit dem letzten Montag durchleben sie und Millionen von Frauen im ganzen Land einen durchdringenden Schock — ausgelöst durch institutionalisierten Sexismus. Wie immer die Kandidatur von Clarence Thomas ausgehen wird, die Diskussion wird nun beherrscht von einer zweiten Dynamik — provoziert durch die anfängliche Kurzsichtigkeit des US-Senates. Was zuerst wie die eher beiläufige Mißachtung der Anschuldigungen Anita Hills aussah, nahm ganz andere Dimensionen an. Diese Männer erreichten, was unzählige, längst entmutigte Feministinnen nicht schafften: Sie haben die feministische Kritik wieder zum Leben erweckt.
Es war einmal vor langer Zeit, da unternahmen Frauen eine radikale, allumfassende Überprüfung aller Lebensbereiche, in denen sie sich wie Menschen zweiter Klasse behandelt fühlten: am Arbeitsplatz, zu Hause, in der Gesellschaft, im Bett. „Das Persönliche ist politisch“, sagten sie sich. Männer sind Subjekte, Frauen Objekte. Auf ihrem Höhepunkt dachte die Frauenbewegung über alle Aspekte des Lebens von Frauen nach: darüber, wie hoch die Löhne für Frauen waren und wie oft sie das Geschirr wuschen; darüber, wie sie mit ihren Ärzten redeten und ob sie Make-up benutzten; darüber, wie sie sich selbst sahen und wie ihre Arbeit innerhalb und außerhalb des Haushalts bewertet wurde. Nichts war trivial oder unwichtig, denn alles berührte die Rechte der Frauen, ihre eigenen Grenzen zu stecken, und für sich selbst zu definieren, was Frau-Sein bedeutet.
„Women's Lib“ war altmodisch geworden
Doch in den letzten zehn Jahren — also in der Phase der Reagan-Amtszeit — wurden die rhetorischen und philosophischen Grundlagen der Frauenbewegung zunehmend als fürchterlich altmodisch abgetan: „Women's Lib“ — das implizierte zunehmend einen Hauch von Schrulligkeit. Eine Unzahl von Frauen ohne BH, die darüber jammerten, ob frau sich nun die Beine rasieren soll oder nicht. Feminismus wurde in den achtziger Jahren glattgebügelt und stromlinienförmig gemacht. Frauenrechtlerinnen führten einen durch und durch pragmatischen Kampf gegen den strukturellen Sexismus der Gesellschaft und konzentrierten sich auf Punkte, die in der öffentlichen politischen Arena ausgefochten und vermittelt werden konnten: gleiche Bezahlung, Kinderbetreuung, politische Gleichstellung und die Legalisierung der Abtreibung. Und den Frauen im Land hat das immens geholfen. Sie besuchten Managerschulen, sie wurden Stahlarbeiterinnen. Mit Hilfe einer frauenfreundlicheren Rechtsprechung konnten sich manche wehren, wenn sie irgendwo ausgeschlossen oder verachtet wurden. Gemessen an jedem Dollar, den ein Mann verdiente, bekamen sie nun ein paar Cents mehr — auch wenn sie immer noch nicht die 100 Cents verdienten, die die Männer erhielten.
Über die persönliche Seite des Feminismus sprach niemand mehr: Über das Gefühl der Frauen, in einem Belagerungszustand zu sein — oder darüber, daß die gesellschaftlichen Vorstellungen von weiblicher Sexualität offenbar immer noch eine völlig andere Spezies beschreiben. Die feministische Kritik der Beziehung zwischen den Geschlechtern — das war wie die Herkunft aus einem schlechten Wohnviertel, für die sich die Frauen schämten.
Von der Macht, Frauen zu erniedrigen
Jetzt, plötzlich, graben Frauen wieder eine schon angerostete Sprache aus und erklären Männern, wie erniedrigt sich eine Frau durch einen Mann fühlen kann, der darauf besteht, mit ihr pornographische Filme zu diskutieren. Wie erniedrigt sie sich fühlen kann, selbst wenn er nur die unausgesprochene Macht hat, sie nur zum passiven Akt des Zuhörens zu zwingen.
Wann immer ich mit Frauen über die „Thomas-Explosion“ geredet habe, fiel mir auf, wie schnell sie von der sexuellen Gewalt am Arbeitsplatz auf die unzähligen Beleidigungen in ihrem Alltag zu sprechen kommen: Was passiert, wenn frau an einer Baustelle vorbeigeht; dieser beiläufige Sexismus von seiten jener Männer, die zwar nicht die Macht des Arbeitgebers haben, aber die Macht, Frauen zu demütigen, indem sie ihr Geschlecht beleidigen. Ich selbst erinnere mich an einen Abend in der Garderobe eines Restaurants. Ich stand nahe hinter einem Mann, der plötzlich seinen Arm zurückriß, um seinen Mantel aufzufangen und mir dabei versehentlich die Brille von der Nase stieß. „Tut mir leid“, sagte er lachend, „eigentlich schlage ich Frauen nur, wenn ich es auch so meine.“
Was hat das mit Clarence Thomas zu tun? Nichts und alles. Denn es erklärt die Wut, die die Senatoren bei den amerikanischen Frauen hervorrufen. Das ist der Ballast, den Frauen jetzt in die Waagschale werfen — unabhängig davon, was uns Anita Hill über die Vorfälle zwischen ihr und ihrem ehemaligen Boß erzählt. Das ist der Ballast, den wir in unseren nüchternen Kampagnen für politische Gleichheit immer versteckt und heruntergespielt haben.
Wenn Sie einen ähnlichen Arbeitsplatz haben wie ich, dann haben Sie die letzten Tage vermutlich erregte und ängstliche Diskussionen erlebt. Gespräche, in denen die Leute mittendrin plötzlich merken, daß sie ungewollt hektischer und vehementer reden, als das ihre Art ist. Die Frauen tauschen Geschichten aus darüber, wie sie sich an ihrem Arbeitsplatz fühlen — auch hier in der 'Washington Post‘. Wir reden darüber, wie wir mit sexueller Belästigung umgehen — manchmal wehren wir uns, manchmal nicht. Und wir sind uns einig darüber, daß die Entscheidung darüber immer eine fast ausschließlich politische ist: Werde ich mehr Aggressivität in ihm erzeugen, als ich selbst loswerde? Ist es das wert?
Die Angst, als „humorlos“ zu gelten
Frauen müssen sich diese Frage überall und jeden Tag stellen. Wir haben nur ewig lange nicht mehr darüber geredet, bis wir uns diese Woche plötzlich in einem gemeinsamen Wutausbruch wiedergefunden haben. Dabei fürchten wir nichts mehr, als plötzlich wie jammernde Opfer zu klingen und mit den Etiketten versehen zu werden, die das Gegenteil von „effektiv“ und „vernünftig“ sind: „streitbar“ und „humorlos“.
So feindselig unsere Umgebung manchmal sein mag, sie ist gleichzeitig oftmals bestärkend. Unser Leben ist anders als das unserer Mütter und Großmütter. Und wir fühlen oftmals die Macht, unser Leben selbst zu bestimmen. Trotzdem besteht nicht der Hauch eines Zweifels, daß die Wut da ist, daß die Beleidigungen passieren. Und wir sind überzeugt, daß diese Belastung, die uns unseren Alltag verleidet, grundsätzlich etwas mit der Art und Weise zu tun hat, wie der US-Senat beinahe Anita Hill behandelt hätte... Was immer nun im Senat passiert, die um zehn Jahre verspätete Abrechnung zwischen ihm und Anita Hill erinnert uns alle daran, wie radikal wir einst versucht haben, den Gesellschaftsvertrag zwischen Frauen und Männern neu zu verhandeln. Selbstverständlich muß der Senat nun — wenn auch mit Verspätung — die Vorwürfe Anita Hills mit allergrößter Sorgfalt abwägen. Wie immer die Entscheidung aussieht, ich kann nicht anders als mich über dieses ganze Aufregung, die Erziehung, die hier jeder in Sachen „sexueller Belästigung“ erhält, zu freuen. Und darüber, wie perplex Amerika vor diesem Ausbruch altmodischer feministischer Wut steht. Marjorie Williams
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