: Die große Chance der Kleinen
Um Geld zu sparen, schreiben die Bundesländer Berlin und Brandenburg immer mehr Regionalverkehrsstrecken der Bahn AG aus. Nur beim lukrativen Regionalexpress hat sich die Bahn noch einmal das Monopol verlängern lassen
„Vor allem was Preise und Service betrifft, machte die Prignitzer Eisenbahn (PEG) das beste Angebot“, sagt Lothar Wiegand, Sprecher des brandenburgischen Verkehrsministeriums. Deshalb habe die PEG die Ausschreibung des Ostnetzes gewonnen.
Besonders hebt Wiegand hervor, dass die Prignitzer sich freiwillig auf ein „Bonus-Malus-System“ eingelassen haben. „Steigende Fahrgastzahlen werden belohnt, bei Verspätungen und mangelnder Sauberkeit werden Maluspunkte verteilt, die den Vergütungsanspruch reduzieren“, so Wiegand. Doch eigentlich geht es den Ländern vor allem ums Geld. „Mit der Privatisierung kostet uns so das Ostnetz etwa eine Million Euro pro Jahr weniger als mit der Bahn AG“, rechnet Wiegand vor.
Das überzeugt auch Brandenburgs Verkehrsminister Hartmut Meyer (SPD). Durch die öffentliche Ausschreibung des Eisenbahnverkehrs in den Ländern Brandenburg und Berlin möchte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. „Mehr Wettbewerb auf der Schiene bedeutet bessere Angebote für die Kunden und geringere Kosten für das Land“, betont der Verkehrsminister. Mit etwa 300 Millionen Euro jährlich subventioniert das Land Brandenburg die Betreiber des regionalen Schienenverkehrs, im Augenblick noch fast ausschließlich die Bahn AG.
In den nächsten zehn Jahren soll nun schrittweise das gesamte Streckennetz in Brandenburg und durch Berlin dem Wettbewerb geöffnet werden. Doch ganz freiwillig passiert dies nicht: Eine EU-Verordnung schreibt ab dem Jahr 2006 die Ausschreibung des öffentlichen Nahverkehrs zwingend vor. Mit der Vergabe der Strecken des Ostnetzes an die PEG machten die beiden Bundesländer einen ersten großen Schritt in Richtung Privatisierung des regionalen Schienenverkehrs.
Und weitere sollen folgen. In fünf Etappen werden in den nächsten zehn Jahren Teilnetze von Nebenstrecken ausgeschrieben. Doch die Hauptstrecken bleiben vorerst bei der Bahn AG. Damit diese sich in einer Übergangsfrist an den Wettbewerb gewöhnen kann, schloss Meyer im Dezember letzten Jahres einen Verkehrsvertrag mit der Bahn AG über zehn Jahre ab. Da es um insgesamt 1,92 Milliarden Euro geht, erschien Bahn-Chef Hartmut Mehdorn persönlich zur Unterschrift. Der Vertrag sichert der Bahn AG auf weitere zehn Jahre vor allem die lukrativen Regionalexpress-Linien zu, erst dann sollen auch sie öffentlich ausgeschrieben werden.
Gegen diesen Verkehrsvertrag ohne vorherige Ausschreibung opponiert vor allem Connex, ein zum französischen Vivendi-Konzern gehörender Hauptkonkurrent der Bahn-AG. Conex betreibt seit März 2002 zwei InterConnex-Linien durch Berlin von Gera nach Rostock und von Zittau nach Stralsund. Die Ticketpreise bei Connex sind nur etwa halb so hoch wie bei der Bahn AG. Im Augenblick bewirbt sich Connex sogar um den Betrieb des Berliner S-Bahn-Rings. Die Vergabekammer in Potsdam wies den Widerspruch von Connex zurück. Auch das Bundesverkehrsministerium erlaubte den Ländern noch ein letztes Mal die „Frei-Hand-Vergabe“ von Verkehrsverträgen.
Gerettet wurden damit auch etliche Arbeitsplätze bei der Bahn AG. „Wegen der Tarifverträge sind unsere Lohnkosten um bis zu 20 Prozent höher“, erklärt der regionale Sprecher der Bahn AG, Burkhard Ahlert, die verlorene Ausschreibung. Für die 150 Eisenbahner des Ostnetzes müssen nun bis zum Jahresende 2004 Ersatzarbeitsplätze gefunden werden.
Und die Konzernspitze der Bahn AG erhöht jetzt den Druck auf die Gewerkschaften, „konkurrenzfähige“ Tarifverträge abzuschließen. „Rund 80 Prozent der Nahverkehrsleistungen werden bundesweit bis zum Jahr 2015 neu vergeben“, versucht Bahnchef Hartmut Mehdorn seinen Beschäftigten klar zu machen. Willigen sie nicht in neue Tarifverträge ein, will die Bahn AG neue Tochtergesellschaften gründen, die nicht an geltende Tarifverträge gebunden sind. Diese sollen sich dann an den Ausschreibungen beteiligen.
Doch die Gründe für die hohen Lohnkosten der Bahn AG sieht Matthias Kley von der PEG woanders. „Unser Haustarifvertrag unterscheidet sich nur geringfügig von dem der Bahn AG.“ Allerdings achtet die PEG sehr auf die „Multifunktionalität, also darauf, dass ein Lokführer auch mal das Fahrzeug reinigt, die Räder schmiert und beim Bordservice einspringt“.
CHRISTOPH VILLINGER
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