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Die größte Wut gilt dem System

■ Die südafrikanische „Kampagne zur Beendigung des Kriegsdienstes“ (EEC) hat großen Zulauf. Träger der Bewegung sind überwiegend weiße Studenten, Kirchengruppen und Bürgerinitiativen

Für Hunderte von Apartheidgegnern bedeutet der seit mehr als drei Monaten gültige Ausnahmezustand eine Existenz im Untergrund - eine Nacht hier, die nächste Nacht dort, ein fremdes Auto, eigenartige Verkleidungen. Gavin Evans ist ein führendes Mitglied der „Kampagne zur Beendigung des Kriegsdienstes“, einer Gruppe, die besonders verfolgt wird. Er beschreibt seine Flucht.

Mit einem obszönen Telefonanruf um Mitternacht am 12. Juni hat für mich der Ausnahmezustand angefangen. Mein Mitbewohner und ich hatten schon seit einem Monat eine Reihe von rätselhaften, beleidigenden und manchmal drohenden mitternächtlichen Telefonanrufen erhalten - seit meiner Rückkehr aus den USA, wo ich die ECC auf einer von der UNO finanzierten Reise vertreten hatte. Aber dieser Anruf war unheilverkündender als sonst. Die Stimme schloß mit einer Reihe von Obszönitäten ab: „Werden wir uns heute abend noch treffen?“ Später rief eine Bekannte an, um mir zu sagen, daß ihr Mann verhaftet worden sei. Ich verstand sofort, daß die allseits erwartete Repression begonnen hatte. Aber ich wollte nicht untertauchen, weil ich gerade eine Prüfung für mein Jura–Studium vorbereitete. Um ein Uhr morgens klingelte das Telefon noch einmal. Es war ein Freund aus Kapstadt, der uns mitteilte, daß eine große Zahl Soldaten und Sicherheitspolizisten gerade meinen Bruder Michael abgeholt hatten. Mein Mitbewohner und ich entschlossen uns daraufhin, doch lieber auf den geplanten nachmitternächtlichen Bananenshake zu verzichten und unsere Koffer zu packen. Zehn Minuten später hatten wir in einem anderen Bezirk einen vorübergehenden Zufluchtsort gefunden. Mein Mitbewohner wurde am nächsten Tag an seinem Arbeitsplatz verhaftet und verbrachte zwei Wochen hinter Gittern. Ich hatte Glück und konnte entkommen. Auf der Flucht Ich hatte diese absurde Idee, daß der Sonntagnachmittag eine Zeit der Erholung sei - sogar für die Sicherheitspolizei. Das war der vierte Tag des Ausnahmezustands und mein Vorrat an Unterhosen war aufgebraucht. Ich ging also in meine Wohnung, um meinen Vorrat wieder aufzustocken. Ich verriegelte sorgfältig die Tür hinter mir. Gerade, als ich fertig war und gehen wollte, rief eine Bekannte aus New York an, um sich über unsere Situation zu erkundigen. Ich hatte zu viel zu erzählen. Wenige Sekunden, nachdem ich aufgelegt hatte, hörte ich jenes unverkennbare Klopfen. Es ist komisch, daß die Sicherheitspolizei immer hartnäckig versucht, die Türen aus den Angeln zu brechen, statt einfach ruhig anzuklopfen. Auf jeden Fall ist ihr Klopfen eindeutig erkennbar. Und als es noch begleitet wurde vom Rattern der Fensterscheiben neben der Tür und einem offensichtlichen Versuch, das Sicherheitsgitter zu zerbrechen, war es höchste Zeit, sich auf die Socken zu machen. Meine Wohnung ist im zweiten Stock. Schon einmal war ich eingeschlossen worden, aber der Sprung war mir damals einfach zu hoch gewesen. Diesmal war die Situation jedoch bedrohlicher. Die „Besucher“ hatten meinen Mitbewohner schon geschnappt. Es war also keine Frage, was sie jetzt vorhatten. Während des letzten Ausnahmezustands vor einem Jahr war ich 13 Tage festgehalten worden. Mir war klar, daß ich dieses Mal nicht so glimpflich davon kommen würde. Da ich also in der Zwickmühle saß, gab es nur eine Wahl: springen, komme, was wolle. Meine letzten Zweifel schwanden dahin, als die ersten Wölkchen Tränengas im Flur auftauchten. Zum Glück bin ich sicher gelandet. Meine Schuhe hatte ich ausgezogen, um keinen Krach zu machen. So rannte ich barfuß durch den dichten Verkehr. Leider mußte ich feststellen, daß alle angeblich sicheren Unterschlüpfe in meinem Bezirk von ihren Bewohnern verlassen worden waren. Alle waren auf der Flucht wie ich. Als ich dann endlich ein bewohntes Haus gefunden hatte, blieb mir kaum Zeit, mir meine Schuhe anzuziehen. Dann rief schon eine aufgeregte Stimme: „Da kommt Whitecross“ (ein Sicherheitspolizist). Und ich sprang über die Gartenmauer - und auch die Mauern der nächsten beiden Nachbarn - und ich war wieder in Sicherheit. Anscheinend hatte man meine Bekannte verfolgt. Am selben Abend wurde auch sie mit Tränengas aus ihrem Haus vertrieben. Inzwischen sind mein Mitbewohner und andere ECC–Mitglieder wieder freigelassen worden. Sie waren lange über mich und meine Auslandsreisen verhört worden. Wer sich mit Ausländern anfreundet, hat schon immer das Interesse der Machthabenden auf sich gezogen. So kam dieses erneute Interesse an meiner Person nicht unerwartet. Dennoch fühlte ich mich keinesfalls besser, als ich hörte, daß sich stark bewaffnete Polizisten bei meinem Vermieter nach mir erkundigt hatten; daß mindestens zwei Nachbarn gebeten worden waren, die Polizei zu benachrichtigen, wenn ich in meine Wohnung zurückkäme; und daß mein Motorrad mutwillig beschädigt worden war. Aber zu dieser Zeit war ich schon viele hundert Kilometer von zuhause entfernt. Wie Hunderte, vielleicht Tausende anderer auch - auf der Flucht. Ich habe meine Haare gefärbt und überhaupt mein ganzes Äußeres stark verändert. Außerdem fahre ich zur Zeit mein sechstes Auto und lebe im elften Haus. Aufgrund dieser Vorsichtsmaßnahmen habe ich vier Straßensperren und mehrere bekannte Sicherheitspolizisten passieren können. Letztendlich habe ich aktiv bleiben können, ohne die Leute, mit denen ich zusammenarbeite, in Gefahr zu bringen. Es hat Vorteile, in den „weißen“ Gebieten im Untergrund zu leben. Es gibt viele Möglichkeiten, um dem Netz zu entgehen, solange man in Kauf nimmt, daß die Umgebung - im Gegensatz zu den Townships - eher unfreundlich ist. Man darf sich nicht von den hohen Hecken, den Rasenflä chen und Swimming Pools verführen lassen. Und man muß bedenken, daß Tausende im ganzen Land in der selben Situation sind. Auf eine eigenartige Weise gibt diese Existenz einem weißen Südafrikaner eine Ahnung davon, wie Millionen von schwarzen Südafrikanern leben, die Flüchtlinge im eigenen Land sind. Eines kann man mit Sicherheit sagen: immer auf der Flucht zu sein, macht nervös. Das Gefühl, gejagt zu werden, obwohl du kein Gesetz gebrochen hast, ist nicht gerade beruhigend. So bin ich zum Beispiel wegen eines Ausschlags zum Arzt gegangen. „Eine nervöse Erscheinung“, sagte er, „haben Sie einen besonderen Grund, sehr angespannt zu sein? Klausuren...? Aber nach einer Weile wird es normal. Und dann wird aus dieser Nervosität eine Wut. Wut, daß man nicht nach Hause gehen kann, daß man Arbeit und Studium aufgeben muß, daß dein Privatleben gezwungenermaßen ein politisches wird, und daß du dich nicht mehr frei bewegen kannst. Aber die größte Wut gilt dem System, das dich zu diesem Leben zwingt. Und so wird man konzentrierter. Jeder Gedanke wird ein politischer Gedanke. Etwas anderes kann man sich nicht leisten. Für den einzelnen kann das schwerwiegende Folgen haben. Die Widerstandsorganisationen werden jedoch gestärkt aus dieser Zeit hervorgehen. Trotz der Schärfe der Repression wird der Ausnahmezustand langfristig stärkere, engagiertere und entschlossenere Anti–Apartheidaktivisten hervorbringen. Das war schon beim letzten Ausnahmezustand der Fall. Aus: Weekly Mail

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