: Die geniale Nase
■ Cyrano: Edmond Rostands „heroische Komödie“ ist im MOKS zu einem hochpoetischen Drama geworden
Das Publikum im MOKS sieht: Viel türkis, Plexiglas und helles Holz, eine funktionale Lochwand – ein Studio, vielleicht auch ein hippes Mediencafé. Tatsächlich nehmen vier Menschen vor Mikrofonen und aufgeschlagenen Textbüchern Platz, um sich allmählich in ihre Figuren hineinzulesen.
Die Lesung als Rutschbahn in historische Rollen, ein Weg zurück ins 17. Jahrhundert: zu Cyrano de Bergerac. Er war einer der originellsten Persönlichkeiten des französischen Barock, studierte zusammen mit Molière, schrieb satirische Utopien wie „Die Reise zum Mond“ und focht mehr als 1.000 Duelle.
Historisierende Cyrano-Inszenierungen zu vermeiden – wie etwa die, die gerade am Bremerhavener Stadttheater lief – ist eine gute Idee. Im MOKS allerdings entstand ein neues Problem: Die Lesenden, die die Bühne als betont private Zeitgenossen betreten hatten, brauchen Zeit, um als SchauspielerInnen in Fahrt zu kommen. Cyranos erstem großen Auftritt – dem Duell mit Graf Guiche, der die legendär-große Nase des empfindlichen Helden erwähnt – fehlt es an Energie, die von der begleitenden Musik behauptete Spannung und Intensität ist einfach nicht da. So steht das Gefecht im Stil eines HipHop-Duells – in dem Graf Guiche stets umsonst zur Parade anhebt – in deutlichem Gegensatz zur sonstigen Qualität der Inszenierung.
Denn mit Hermann Book gibt es einen faszinierenden Cyrano, Tobias Pflug als Christian ist ein entwaffnend dummer Naiv-Schönling und Alexander Hauer (Graf Guiche) überzeugt als Fiesling, dessen tiefe, gefährlich unterspannte Stimme frösteln lässt.
Sie alle lieben Roxane, und die hat klare Vorstellungen von den notwendigen Qualitäen ihres Aus-erkorenen: „Wenn er dumm ist, muss ich sterben.“ Kein Wunder, dass sich Christian alleine nicht traut („mein Mut zerschellt an ihres Reizes Klippen“) und die Liebesbriefe lieber von Cyrano schreiben lässt. Dem schmachtenden Ghostwriter ist sein Anteil am Erfolg wohl bewusst: „Auf seinen Lippen küsst sie meine Worte“.
Die angebetete Roxane ist mit Maureen Havlena ideal besetzt. Ausgestattet mit der süßen Unnahbarkeit früher Filmschauspielerinnen, die nicht primär geküsst, sondern umschmeichelt sein wollen, sorgt sie für das konstante Niveau der Liebesbekundungen Als Christian meint, mit eigenen Worten das letzte Stück Wegs zum Ziel – Roxanes Mund – zurücklegen zu können, tritt die Geliebte rasch den Rückzug an („für heute scheint Ihr Geist entflohn“).
So kommt es zu der berückenden nächtlichen Balkon-Szene, in der Cyrano – nachdem sich Christian selbst für das Nachbeten soufflierter Herzensschwüre als zu dumm erwiesen hat – in leidenschaftliche Liebesbekundungen ausbricht. Romatik greift um sich, die außer Roxanes Herz sicher auch so manche Zuschauerin ergreift. An dieser dichten Stimmung hat, neben dem wohlgesetzten Licht, vor allem Octavia Crummenerls perfekt stimmiger Subsound zwischen Zykadenklappern und Elektro-Ambiente großen Anteil.
Selbst wer die schnellen Schnitte des Cyrano-Films in den Augen und Gerard Depardieus Reimkaskaden in den Ohren hat, wird von dieser Inszenierung nicht enttäuscht. Sie ist ein Fest der Worte, das nicht nur den SMS-orientierten Altersstufen vor Ohren führt, wie eingeschränkt der eigene Sprachgebrauch ist.
Was dem MOKS außerdem gelingt: eine authentische Drama-Stimmung herzustellen. Christian und Cyrano müssen in den Krieg. Gelungene Gegenstücke zum Textvergnügen werden die wortlosen Action-Einschübe, durch die etwa das Getümmel der Schlacht bei Arras zu einer perkussiven Bewegungsperformance wird, die sich erstaunlich wenig abnutzt.
Vielleicht kippt die Inszenierung im letzten Viertel zu vollständig ins Dramatische. Nach Christians Sterben auf dem Schlachtfeld erscheint auch Cyrano nur noch als vom Tod Gezeichneter, der sich mühevoll zum letzten Treffen mit der im Kloster lebenden Roxane schleppt. Doch wie als stürmisch Liebender, so überzeugt Hermann Book auch als immer schwächer werdender Held so vollständig, dass man als Zuschauer gar nicht auf die Idee kommt, die dramatische Verdichtung der Inszenierung in Frage zu stellen.
Formal befinden sich die SchauspielerInnen in ihrer letzten Szene wieder im ursprünglichen Lesungs-Rahmen. Doch zum Glück sprengt die Intensität des Abschieds der unerfüllt Liebenden die formale Setzung komplett. Zurück bleibt das Gefühl, ein ebenso unerwartetes wie gutes Drama gesehen zu haben. Henning Bleyl
Regie: Klaus Schumacher, Ausstattung: Katrin Plötzky, Musik: Ocatavia Crummenerl und Thomas Schacht. Weitere Aufführungen (neben zahlreichen Schulvorstellungen) des „Schauspiel mit Musik für alle ab 13 Jahren“: 22., 23., 24. Februar und 15. MärzTel.:
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