: Die ganz normalen Subversiven
■ Nackte Füße zwischen den Kabeln, Blues auf der Mundharmonika, mit Sonnenbrille zum Fototermin für die Presse: Zum erstenmal in seiner Geschichte hat der Chaos Computer Club seinen Jahreskongreß in Berlin abgehalten
Nächste Woche kommt das Hacker-Epos „23“ in die Kinos, vor zehn Tagen ging der jährliche Kongreß des Chaos Computer Clubs (CCC) mit Rekordteilnehmerzahlen zu Ende – die Hacker, früher im Verschwiegenen arbeitend, rücken ins Zentrum des öffentlichen Lebens. Einst subversiv, gehören sie heute zu den konstituierenden Elementen einer möglichst wenig totalitären Zeit.
„Wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, sagt denn auch Wau Holland, einer der Gründungsväter des CCC. „Da müssen wir aufpassen, daß wir nicht zu soft werden.“ Denn jene Kräfte, die das Leben kontrollieren und normieren möchten, um daraus Profit zu schlagen, haben noch längst nicht aufgegeben. „Eine Welt ohne Hacker wäre totalitär. Während wir vor Jahren noch als böse galten, ändert sich gerade die Sicht auf unsere Arbeit. Denn wir machen keinen groben Unfug, sondern einen feinen Fug.“
Hacker leben von Vernetzung. Um das mächtige System des Datenmißbrauchs, der Gewalt zu verstehen, ist es für sie unerläßlich, sich auszutauschen – ob im Internet oder auf physischen Treffen wie dem jüngsten Kongreß in Berlin, wo über 1.500 Menschen drei Tage und Nächte lang diskutierten und praktizierten, wie der Austausch am effektivsten gestaltet werden kann.
„Kommunikation ist eine Chance zur Deeskalation“, doziert Holland in seinem Vortrag „Sprache, Dienste und Kultur des Internets“. Sicherheitsfirmen und Datenmißbraucher wissen, daß ihr Vorgehen von Hackern beleuchtet wird. Also müssen sie sich ein wenig im Zaum halten, wohl oder übel. Ohne Hacker würden wir nicht bemerken, wie perfekt wir abgefilmt, abgescannt, verwaltet und informell vergewaltigt werden.
Holland trägt einen vertrauenerweckenden Vollbart, in dem sich Erdbeermarmelade verfangen hat. „Vom Rad“, sagt er, „bis zum Räderwerk der Uhr, zur Industrialisierung und der Dampfmaschine, schließlich dem Computer und dem Netz, das ein Bit-Räderwerk ist: der Hacker benutzt die Errungenschaften der Zivilsation dafür, wozu sie genutzt werden sollten: zur Kommunikation, dem Grundbefürfnis von Leben überhaupt.“
Wenn irgendwo der Fluß gestaut ist, Hierarchien verhärten, orthodoxe Glaubensmuster zusammenklumpen, kommt es zu Krankheiten im menschlichen Organismus. Der Hacker ist ein weißes Blutkörperchen. Doch noch funktioniert er fehlerhaft, denn er bewegt sich nicht frei, ist gehemmt, voller Angst. Auf dem Kongreß spukt die Paranoia, ein Bug im Betriebssystem des Menschen. Holland: „Jeder Mensch hat die Chance auf Freiheit, doch die meisten sterben, bevor sie sie erreichen.“ Spätestens seit dem Tod des Starhackers Tron, der als erster die Telefonkarten der Telekom knackte und Ende Oktober in einem Berliner Park erhängt aufgefunden wurde, herrscht kollektives Mißtrauen. An Selbstmord glaubt keiner, der Tron und seine hochbrisante Arbeit kannte. „Bitte tragt immer eure Kongreßausweise“, mahnt CCC-Pressesprecher Müller-Maguhn bei seiner Begrüßungsrede: „An den Farben sollt ihr sie erkennen: Polizei und Geheimdienste tragen braune.“
Gelächter im Auditorium. Aber auch einige verstohlene Blicke über die Schulter: Wer sitzt da hinter mir? Wer ist das wirklich, mein Nachbar, mein Mit-Hacker? Wo liegt die Öffnung in seiner Fassade, durch die ich hindurchschauen kann, um die Wahrheit zu sehen? Die Fassade: ein Post-Teenager im Pulli, mit Baseballmütze und einem T-Shirt, wo draufsteht: „Sie können den Computer jetzt wegwerfen“.
Die einzige Möglichkeit, die Angst voreinander zu verlieren, liegt in der Vernetzung. Je besser wir uns kennenlernen, desto effektiver kann die Kommunikation verlaufen. Wau Holland lobt eine Gesprächskultur, die sich auf der abstrakten Form von Programmzeilen aufbaut, dem Linux-Betriebssystem beispielsweise, das gerade in Mode ist, einer quelloffenen Software, die dem Benutzer einen direkten Zugriff auf den Energiefluß der Kommunikation gewährt. Wer nur durch die genormten Windows auf die digitale Welt schaut, wird zum Knöpfchendrücker und Soft-Soldaten. Das Land Mexiko beispielsweise stattet jetzt seine Schulen nicht mehr vorrangig mit Microsoft-Produkten aus, sondern läßt die Schüler an Linux arbeiten. So lernen sie das Betriebssystem, den Verwaltungsapparat des Computers. Das bereitet zwar mehr Mühe, doch nach einer entsprechenden Verzögerungszeit von einigen Jahren wird die mexikanische Volkswirtschaft am Weltmarkt für Wissen eine andere Rolle spielen als ein System, das nur Anwender heranzüchtet. Holland: „Wenn hierzulande den Schülern etwas beigebracht wird, dann sicher nicht im Informatikunterricht, sondern vielleicht in Deutsch, Englisch oder Physik.“
Im zweistöckigen Hackcenter, dem Herzen des Kongresses, ist Tag und Nacht Betrieb. Zwischen Maschinen, Mäusen und Menschen herrscht überaufmerksame Stimmung. Fotografieren ist streng verboten, und jemand spielt den Blues auf einer Mundharmonika: Wo liegt meine Heimat? Aus einem Kassettenrecorder ertönt deutscher Folk: „Herr, gib mir was, das ich ihr bieten kann. Herr, du bist doch sonst so klug. Sie sagt, sie will einen richtigen Mann, und ich bin ihr nicht richtig genug.“
Riesige Joysticks stehen neben den Terminals. Viel Spaß am Gerät: das ist der notorische Hackergruß. Zum ersten Mal findet die mittlerweile 15. Jahresversammlung des Chaos Computer Clubs in Berlin statt, im Haus am Köllnischen Park, einem Monstrum sozialistischer Impotenzarchitektur. Das DDR-Ambiente fügt sich gut ein in die bleichen Gesichter und die achtlose Kleidung der Gäste. Hacker sind die am normalsten aussehenden Subversiven.
Es sind beinahe ausschließlich Männer da, und auf Schaltkreisebene wird es homoerotisch: Ich komm bei dir rein. Ich knack dich. Die aberhundert Computer im riesigen Hackzentrum emittieren eine erstaunliche Abwärme, die ersten Pullis werden ausgezogen, Unterhemden zeigen untätowierte Oberarme. Nackte Zehen zwischen Kabeln in Hochbetrieb, Mineralwasserflaschen werden herumgereicht im künstlich beleuchteten Raum.
Dann ist doch Fotografierzeit, fünf Minuten bekommen die Pressevampire mit den Objektiven. Der Großteil der Hacker verläßt gelassen die Arena, einige setzen Sonnenbrillen auf, mit oder ohne Rückspiegel, Kapuzen werden tief ins Gesicht gezogen, solche Leute werden besonders gerne gefilmt, die Fotografen lichten ein codiertes Hackzentrum ab, gigaweit von der Wahrheit entfernt. Anna und Arthur halten das Maul. Sie haben's schwer, die Journalisten hier. Sie werden fast so gehaßt wie die Ordnungshüter in Zivil. Vielleicht weil Print und Fernsehen die Gesellschaft nicht mehr hacken, sondern konstituieren. Norman Ohler
Weitere Informationen zum Kongreß unter www.ccc.de
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