Die „friedliche“ Nutzung der Atomenergie

■ Dokumentation belegt die seit Jahren verfolgten militärischen Interessen der Atommafia / Allein in den USA 4.000 Kilo waffenfähiges Uran und Plutonium verschwunden / Das nicht erfaßbare bombenfähige Material reicht aus, um Hunderte von Atombomben zu bauen

Wieviel bombenfähiges Material bisher weltweit verarbeitet, transportiert und gelagert wurde und wieviel davon nicht mehr gemessen werden konnte und damit der staatlichen und internationalen Kontrolle entzogen ist, wird wohl unbekannt bleiben. Einige konkrete Zahlen werden in der Literatur genannt: Bis zum Jahresende 1976 sollen in den USA in allen atomtechnischen Anlagen zusammengenommen circa 4.000kg hochangereichertes Uran oder Plutonium vermißt worden sein. Jedenfalls wäre das nicht erfaßbare und nicht kontrollierbare bombenfähige Material ausreichend, um Hunderte von Atombomben zu bauen.

Eine 1965 durchgeführte Überprüfung des realen Bestandes in der Anlage der Nuclear Materials and Equipment Corporation (NUMEC) in Apollo/Pennsylvania, die damals mit der Verarbeitung von 1.013kg hochangereicherten Urans zu Brennstoff für Schiffsreaktoren beauftragt war, ergab einen Verlust von 53kg Uran-235, also von mehr als fünf Prozent des durchgesetzten Materials. Eine sofort eingeleitete Untersuchung der CIA und des FBI stellte fest, daß für die Jahre 1957 bis 1965 der Verbleib von insgesamt 178kg Uran-235 nicht aufgeklärt werden kann. Allenfalls 84kg davon könnten nach Schätzung der Behörden als Verarbeitungsverluste oder Abfall gelten, die die unzureichende Spaltstoff- Flußkontrolle nicht erfaßt hat. Selbst nach dieser optimistischen Annahme blieb der Verbleib von mindestens 94kg Uran-235 ungeklärt – eine Menge, die ermöglicht, fünf bis zehn Atombomben herzustellen. Es gibt eine Reihe von Hinweisen, daß ein gewisser Teil des vermißten Urans illegal nach Israel gebracht worden ist.

1980 wurde bekannt, daß in der Wiederaufarbeitungsanlage in Savannah River, South Carolina, zwischen 1976 und 1978 circa 12kg Plutonium und in der gesamten Zeit zwischen 1955 und 1976 etwa 150kg Plutonium verschwunden sind. In den USA sind 1979 bei Nuclear Fuel Services in Erwin/ Tennessee 9kg hochangereichertes Uran für den Antrieb von Atom-U-Booten verschwunden.

Ebenfalls bei Nuclear Fuel Services wurden 1976 30kg hochangereichertes Uran vermißt. Die Reporterin Barbara Newman berichtet, daß eine kleine Zahl von Arbeitern in der Lage gewesen war, die Spaltstoff-Flußkontrolle zu täuschen, indem sie mehr Abfall aufschrieben, als tatsächlich angefallen war. Das Ziel dieser Manipulation war, im Fall künftiger möglicher Bilanzierungsdifferenzen eine heimliche Reserve verfügbaren Urans zu besitzen.

Der statistische Fehlbetrag in der Spaltstoffbilanz der britischen Wiederaufarbeitungsanlage in Windscale betrug für die Zeit von 1970 bis 1977 insgesamt 98kg Plutonium. Für 1981 wurde in einem Untersuchungsbericht wiederum ein Fehlbetrag von mehr als 10kg Plutonium festgestellt.

Im März 1969 wurde ein Behälter mit 15,8kg auf 97 Prozent angereichertes Uran-235, ausreichend für eine Atombombe, auf dem Weg von Ohio nach Montana in St. Louis vertauscht, gelangte aus diesem Grund nach Oklahoma City, sollte zurück nach St. Louis geschickt werden, wurde statt dessen aber schließlich (unversehrt) in einem Frachtterminal des Flughafens Boston gefunden.

Im April 1984 wurde in Trient, Italien, gegen 42 Personen Anklage erhoben, weil sie Mitglieder einer internationalen Organisation seien, die illegal mit großen Mengen Drogen und Waffen gehandelt und auch Kontakte zu verschiedenen Geheimdiensten gehabt habe. Ihnen wird vorgeworfen, gegenüber nahöstlichen Staaten neben einer langen Liste großer Mengen konventioneller Waffen, auch die Lieferung von drei Atombomben, 33,9kg Plutonium und 1.000kg Natururan angeboten zu haben.

Durch Aussagen von Augenzeugen in einem Prozeß gegen den früheren CIA-Agenten Edwin Wilson wurde 1983 in den USA bekannt, daß Libyen 1981 ernsthaft versucht hatte, auf dem Schwarzmarkt bombenfähiges Material zu erlangen. Im Februar oder März 1981 wandte sich sein belgischer Geschäftspartner Armand Donnay wegen seiner Libyen-Kontakte an ihn. Er habe über eine deutsche Nuklearanlage Zugang zu ausreichend viel spaltbarem Material, um daraus eine Atombombe zu bauen. Beide unterbreiteten Libyen ein Kaufangebot, über das dann eine libysche Delegation aus hohen Atomfunktionären mehrfach ernsthaft verhandelte. In dem ersten Treffen sollen die Libyer auf das Angebot, Uran mit 20 Prozent Anreicherung zu liefern, geantwortet haben: „Das ist für uns ungeeignet. Wir brauchen 80 Prozent. Wenn Sie das nicht liefern können, kommen wir zu keinem Geschäft.“ In weiteren Treffen versuchten Wilson und Donnay ihr Angebot zu verbessern. Das Geschäft scheiterte daran, daß sie die Wünsche Libyens nicht befriedigen konnten.

Im Jahr 1971 wurde dem Präsidenten der Hydro-Jet-Service Inc. in Texas eine Bestechungssumme von 50.000 Dollar pro Monat angeboten, wenn er die Einrichtungen seiner Gesellschaft für die Anreicherung einer halben Mio. Pfund gestohlenen Uranerzes zur Verfügung stellen würde.

Livingstone berichtet, daß 1977 zwei europäische Geschäftsleute Kontakt zu einem Rohstoffhändler in Washington aufgenommen und ihm ca. 115kg hochangereichertes Uran zum Preis von 2.650.000 Dollar pro Kilogrammm angeboten hätten.

Im Juli 1981 wurden in Paris sechs Personen wegen eines internationalen Schmuggels mit Uran- Brennstäben unter Anklage gestellt.

Auszüge aus dem gerade erschienenen Buch: Alexander Roßnagel, Die unfriedliche Nutzung der Kernenergie, VSA-Verlag 1987. Das Buch enthält eine minitiöse Aufstellung aller militärisch relevanten Vorfälle bei der „friedlichen“ Nutzung der Atomenergie.