Die dunkle Seite des Sommers: Berlin sucht Rezept gegen Hitze
Heiße Sommer sind heiß ersehnt - und machen doch vielen Menschen in der Stadt zu schaffen. Mit dem Klimawandel werden die Extreme weiter zunehmen.Forschungsprojekt Lösungen für den Umgang mit Hitzewellen entwickeln
Hitze. Die Sonne brennt, in den Parks raschelt gelbes Gras, auf der Stadtautobahn wird der Asphalt weich. Seit Wochen ächzen die BerlinerInnen in stickigen Büros und Wohnungen, die Krankenhäuser melden gehäufte Kreislaufzusammenbrüche. Zugegeben: Das war im Sommer 2010. Aber solche Hitzewellen, sagen Klimaforscher, könnten künftig von der Ausnahme zur Regel werden. Deshalb geht nun in Berlin ein großangelegtes Forschungsprojekt an den Start.
Sechs Institutionen und mehr als 50 WissenschaftlerInnen werden in den kommenden sechs Jahren am Beispiel von Berlin beobachten, wie Hitze auf den Menschen wirkt – und sie werden untersuchen, mit welchen Maßnahmen sich die Temperaturen in Städten senken lassen. Hintergrund des Vorhabens ist die Prognose eines sich erwärmenden Planeten: Urban Climate and Heat Stress in mid-latitude cities in view of climate change heißt das Projekt – „Urbaner Klima- und Hitzestress in Städten der gemäßigten Zone angesichts des Klimawandels.“
Beteiligt sind Experten der Humboldt-Universität (HU), der Technischen Universität (TU), der Freien Universität (FU) sowie der Universität der Künste (UdK), des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und der Charité. Sie alle bringen auf unterschiedlichen Fachgebieten Expertise ein: So untersuchen etwa MedizinerInnen der Charité die körperlichen Folgen großer Hitze, während sich die KlimaforscherInnen von TU, HU und PIK mit dem Berliner Stadtklima beschäftigen. Auch Architekten, Hydrologen, Stadtgeografen, Stadtplaner und Sozialwissenschaftler sind im Rahmen von insgesamt elf Untergruppen beteiligt.
In den vergangenen 20 Jahren hat es in Europa mehrere große Hitzewellen gegeben. Ende Juli 1994 stieg in Berlin die Sterblichkeit in nur zwei Wochen Sommerhitze auf das Doppelte der normalen Rate zu dieser Jahreszeit. 2003 dann bescherte das Hoch "Michaela" Europa in der ersten Augustwoche den heißesten Sommer seit 500 Jahren. Die Hitzewelle 2010 war zwar nicht heißer als die von 2003, dauerte aber länger - von Mitte Juli bis Mitte August. Die Folge waren verheerende Wald- und Torfbrände in Russland und defekte ICE-Klimaanlagen in Deutschland. (mh)
„Die Thematik ist extrem komplex“, sagt der TU-Klimatologe Dieter Scherer, der das Gesamtprojekt leitet. Dem soll die große Zahl der ForscherInnen und die Vielfalt der Fachgebiete Rechnung tragen. Anfangs, sagt Scherer, sei das Projekt eine Idee der Klimatologen gewesen. „Aber je tiefer ich mich ins Thema eingearbeitet habe, umso deutlicher wurde, dass der Kreis größer sein muss, weil wir viel mehr Know-how brauchen.“
Bislang, so Scherer, sei Berlin schlecht gerüstet für die große Hitze. Die wenigsten öffentlichen Gebäude sind klimatisiert, und kaum ein Architekt mache sich Gedanken darüber, wie sich die Bewohner seiner Häuser im Sommer Kühle verschaffen könnten. Dabei gewinnt dieser Aspekt extrem an Relevanz. Im Rekordsommer 2003 wurden in Deutschland 70.000 Todesfälle mehr registriert, als sonst zu dieser Jahreszeit üblich. Besonders betroffen waren Alte, Kranke und Säuglinge. Der Umweltklimatologe Wilfried Endlicher, Leiter einer der Projektgruppen, findet drastische Worte: „Der Sommer 2003 war von der Sterblichkeit her gesehen die größte Naturkatastrophe des letzten Jahrhunderts in Europa.“
Zwar sei extreme Hitze während eines Sommers durchaus normal, sagt Dieter Scherer. „Aber solche Hitzewellen treten immer häufiger auf.“ Gegen Ende des beginnenden Jahrhunderts sei alle zwei bis drei Jahre mit extremen Hitzewellen zu rechnen, wie sie in mittleren Breiten bislang nur alle 500 Jahre auftreten.
Begonnen haben die ForscherInnen mit der Vorbereitung des Projekts bereits 2008 – damals stellten sie die Förderanträge bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Im vergangenen Mai nun wurden der Gruppe Mittel in Höhe von zunächst 3,4 Millionen Euro bewilligt. Somit beginnt jetzt die sechsjährige Experimentierphase, bei der die ForscherInnen zunächst im Rahmen ihrer einzelnen Fachgebiete aktiv werden. Eine Gruppe an der TU arbeitet beispielsweise an Konzepten zur Gebäudebegrünung. Eine andere misst die Auswirkung von Hitze auf die Patienten in Krankenhäusern, eine weitere sucht Möglichkeiten, klimafreundliches Bauen in die Berliner Baugesetze zu integrieren.
In einem letzten Schritt dann werden die WissenschaftlerInnen ihre Ergebnisse zusammentragen und komplexere Fragen zu beantworten: Wie und wo in Berlin sollten ältere Menschen wohnen, um möglichst günstige Bedingungen für ihre Gesundheit zu haben? Wo sollten Krankenhäuser stehen und wie müssen sie umgerüstet werden? Wie viel Strom fressende Klimanlagen braucht man, und was sind die Alternativen? Welche Bedingungen muss die Politik schaffen, damit Gebäude und ganze Viertel umgestaltet werden können?
Die entwickelten Ideen sollen in eine Simulation einfließen, die dann Hinweise auf die bevorstehenden Veränderungen und den entsprechenden Handlungsbedarf geben kann. Das Ganze wird auf den Zeitraum 2041 bis 2050 projiziert. Dann soll Berlin bereits regelmäßig unter Hitzewellen leiden.
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