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Die dunkle Seite der Technologie

■ Alte und junge Technokids trafen sich zum Kraftwerk-Konzert im neuen Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM)

Kraftwerk sind ein Mythos – und als solcher wie geschaffen, die Eröffnung des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe zu beschallen. Mit „Heimatmusik aus dem Rhein-Ruhr- Gebiet“ und einer bis dahin beispiellosen Technophilie eroberten Kraftwerk in den 70ern globale Popmärkte. Kraftwerk produzierten den Soundtrack einer automatisierten und vernetzten Welt und ironisierten gleichzeitig das roboterhafte Dasein des bundesdeutschen Durchschnittsbürgers vor der Erlebnisgesellschaft: „Wir laden unsere Batterie. Jetzt sind wir voller Energie.“ Kraftwerk verkörperten wie niemand sonst die enge Verschaltung von Mensch und Maschine und erschienen auf der Bühne als die leblosen Anhängel ihrer Apparate.

In den 90ern verhielt sich Kraftwerks tatsächliche Präsenz in den Kabelkanälen und in Form neuen Materials umgekehrt proportional zu Kraftwerk als dem historischen Bezugspunkt für die Technogeneration. Seit der Tour zu den digitalen Remixen ihrer Hits 1991 sind die Düsseldorfer dieses Jahr zum ersten Mal beim Tribal Gathering in England wieder aufgetreten, ließen den Gerüchten über eine neue LP ihren Lauf und übten sich auch ansonsten in einer restriktiven Informationspolitik. Die setzte sich an den Halleneingängen des ZKM fort, wo sich bald kistenweise Fotoapparate, Handies und Aufnahmeequipment der Fans stapelten. In dem Maß, wie miniaturisierte High-Tech-Apparate durch die Gesellschaft diffundieren, scheint sich der Technologiepark der Mensch-Maschine nur noch durch Ausschluß derselben Exklusivität verschaffen zu können. Im Saal trafen sich dann die 80er mit den Technokids der 90er für die Reise durch die Geschichte der gesammelten Klassiker.

Insgesamt scheinen die Videosequenzen wie die ganze Performance von weither zu kommen. Die wochenschaumäßigen Nahaufnahmen von Radlerwaden auf der Tour de France etwa sind als Ironisierungen kaum mehr zu erkennen. Gleichzeitig scheint es nicht mehr so ganz einzuleuchten, warum man elektronische Musik wieder zurück in die Form eines traditionellen Popkonzerts transportieren muß.

Da hat sich die Idee einer antiauthentizistischen, maschinenhaften Bühnenpräsenz selbst überholt. Gegen Ende der Show werden die schwarzen Gummianzüge der Band gegen enganliegende Matrixbodies vertauscht und „www.kraftwerk.com“ auf die Leinwände gebeamt, was als eher hilfloser Versuch erscheint, den Anschluß an 1997 zu dokumentieren. Auch die wenigen neueren Tracks verblassen gegenüber dem alten Material und bleiben in Klischeeversionen des 1993er Techno stecken.

Nach fast einer Dekade von Techno und House funktionieren die Hits der Düsseldorfer aber immer noch erstaunlich gut, was wohl auch dem sensiblen Updating ihrer Sounds und vor allem ihrer Rhythmen zu verdanken ist. Bei den Texten von „Computerwelt“ aus dem Jahr 1981, die grobgepixelt über die Leinwände flimmern, scheint die Zeit stehengeblieben zu sein: „Reisen, Zeit, Medizin, Unterhaltung“. Die Slogans kommen einem irgendwie bekannt vor, und man darf sich wundern, wie lange die Computerindustrie schon ihre Heilsversprechen an Mann und Frau bringt.

Trotzdem wurde die Chance verpaßt, auch den Rest an aktuelle Verhältnisse anzupassen: Microsoft und BKA haben unsere Daten da. Der neugebaute Hochsicherheitsbau des Bundesgerichtshofs ist übrigens gerade mal einen Steinwurf vom ZKM entfernt und fungiert in seiner unauffälligen Militanz als blinder Fleck in der Architektur des ZKM.

Kraftwerk haben dagegen weiterhin ein waches Auge auf die dunkle Seite von Technologie und dissen in „Radioaktivität“ detalliert die Folgen von Sellafield 2. Ulrich Gutmair

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