Die dümmste Art, sich einen Kaffee zu kochen

Die Verkündung des „Atoms for peace“ markierte den Beginn der Atomkraft-Euphorie, der Supergau von Tschernobyl ihr jähes Ende

BERLIN taz ■ Der Traum vom atomaren Füllhorn begann in den 50er-Jahren mit der virtuellen Abschaffung aller Stromzähler. Kaum hatte US-Präsident Eisenhower sein „Atoms for Peace“ verkündet – die friedliche Nutzung der Todesenergie von Hiroshima – da sagten die Atom-Protagonisten eine großartige Zukunft voraus. Es werde so viel Energie geben, dass ihre Abrechnung überflüssig sei. Atomkraft sollte Schiffe, Flugzeuge, Eisenbahnen und Autos antreiben, Raketen ins All schießen, Polregionen in laue Luftkurorte verwandeln und ausgetrocknete Wüsten in blühende Landschaften. Und „atomare Landschaftsgärtner“ sollten mit gezielten Explosionen Kanäle bauen und Berge versetzen.

Um die tödliche Strahlung machte sich niemand Sorgen. Hans Schweikert von Siemens-Erlangen beschrieb 1958 die Entsorgung: „Die am meisten praktizierte Methode für die Handhabung fester Atomabfälle ist die Lagerung in offenen Gräben und Löchern.“ Carl-Friedrich von Weizsäcker notierte 1969 frohgemut: „Ich habe mir in Karlsruhe sagen lassen, dass der gesamte Atommüll in einen Kasten hineinginge von 20 Metern Seitenlänge.“ Den wollte er „gut verschließen und in ein Bergwerk stecken“.

Die Zeiten waren rosig, die Prognosen kühn. Der Schnelle Brüter sollte die normalen AKWs ablösen. Das Kernforschungszentrum Karlsruhe prophezeite 1965, dass im Jahr 2000 in der Bundesrepublik 240 Brutreaktoren vom Kalkar-Typ laufen werden. Noch im Frühling 1986 legte Brüter-Chef Willy Marth in Karlsruhe ein Szenario gegen die Klimakrise vor. Um Kohle, Öl und Gas abzulösen, sollten jährlich 200 Atommeiler weltweit gebaut werden. Kosten: 8.000 Milliarden Mark.

Wenige Wochen später flogen die Zukunftsentwürfe den Atomspaltern in Tschernobyl um die glühenden Ohren. Sieben Jahre nach dem Beinahe-GAU in Harrisburg konnte die Welt den Super-GAU besichtigen. 36 sofort Tote, Tausende starben in den nächsten Monaten und Jahren. Die nukleare Erlöserutopie versank im radioaktiven Trümmerhaufen eines Reaktors, den deutsche Forscher als „besonders robust“ gepriesen hatten. Nur der Bonner Innenminister Zimmermann blieb fröhlich und erkannte per Ferndiagnose, es bestehe keinerlei Gefahr. In Deutschland verfaulte der Salat auf dem Acker. Mütter sperrten die Kinder ein, und die Geigerzähler tickten. Auf dem Nürnberger Parteitag beschloss die SPD den Ausstieg, den sie nie ernsthaft verfolgte.

Die dümmste Art, Kaffee zu kochen, mittels gespaltener Urankerne, hatte schon in den 70er-Jahren die relevanteste Protestbewegung der Nachkriegszeit ausgelöst. Die Bürgerinitiativen verschafften sich bis in die Machteliten hinein Gehör. Sie korrigierten die atomare Euphorie, bescherten der Bundesrepublik neue Formen des Bürgerprotests, schoben die grüne Partei in die Parlamente, wurden zur „Landplage“ (FAZ), zur „vierten Gewalt im Staate“ (Spiegel) und verwandelten in Wyhl, Brokdorf und Gorleben treue Untertanen in Mistgabeln schwingende Platzbesetzer. MANFRED KRIENER