piwik no script img

Die diamantene Hochzeit meiner Eltern60 Hochzeitstage und kein Todesfall

Meinen Eltern das Wochenblatt auf den Hals zu hetzen habe ich leider verpasst, es erscheint nicht mehr. Wie soll ich ihnen nun meine Zuneigung zeigen?

Auch ein stilvolles Geschenk zur diamantenen Hochzeit: Briefmarke Foto: Royal Mail/dpa

B is vor Kurzem brachte uns der Postmensch eine kostenlose Wochenzeitung. Ich habe sie gerne durchgeblättert, weil neben Werbung für Teppichreinigungen und Hörgeräte darin auch immer Flohmärkte, Konzerte und die erneute Schließung der Postfiliale angekündigt wurden.

Außerdem erfreute ich mich daran, in jeder Ausgabe mindestens eine Überschrift zu finden, in welcher der Name eines Filmklassikers verwurstet worden war. Ging es beispielsweise um einen Juwelier, stand darüber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit „Der Herr der Ringe“ und wenn die Feuerwehr auf dem Stadtteilfest eine Gulaschkanone austeilte, kam man um die Überschrift „Manche mögen’s heiß“ nicht herum.

Was ich auch gerne angeschaut habe, waren die unglaublich unmotivierten Fotos. Besonders mochte ich die Bilder von Jubilaren: Schnappschüsse von Rentnern auf seltsamen Sofas, denen meist eine Zimmerpflanze aus dem Kopf zu wachsen schien, und scharf im Vordergrund ein halb aufgegessenes Stück Torte. Immer hatte ich vor, mir den Spaß zu machen und meinen Eltern zur Goldenen Hochzeit auch das Wochenblatt auf den Hals zu hetzen.

Leider habe ich das verpennt und nun, wo sie Diamantene Hochzeit haben, gibt es die Zeitung nicht mehr. Irgendetwas müsste man natürlich schon organisieren zu dem Anlass, aber was? Im Internet lese ich, dass es keine besonderen Bräuche zur Diamantenen Hochzeit gibt, weil nur die wenigsten sie erleben. Sehr motivierend. Man sollte auf das hohe Alter der Eheleute Rücksicht nehmen und im engsten Kreise feiern.

Von Liebe sprechen wir Zuhause nicht, stattdessen diskutieren wir lautstark über die Petersilie auf der Suppe

Meine Eltern feiern tatsächlich nur klein, aber lediglich, weil mein Vater keine großen (und teuren) Feierlichkeiten mag und weil sie am selben Tag noch auf eine siebenwöchige VW-Bus-Tour (samt Kajak auf dem Dach) nach Estland starten. Das Wochenblatt hätte bestimmt „Liebesgrüße aus Moskau“ drübergeschrieben – da hätte dann zwar nicht die Stadt, aber immerhin das Jahr gepasst: Der Film ist von 1963, dem Hochzeitsjahr meiner Eltern.

Ich habe gelesen, dass es üblich ist, dass die Kinder die Feier organisieren – und man die Tische mit Organza dekorieren könnte. Es ist peinlich, aber ich weiß nicht, was Organza ist und meine Eltern müssen sich ebenso um die Feier zu ihrer eigenen Diamanthochzeit kümmern, wie sie sich letztes Wochenende um das Spargelessen zum 51. Geburtstag meines Bruders gekümmert haben.

Wir sind vier Geschwister, einer von uns müsste zumindest eine Rede halten – aber in unserer Familie tun wir so was nicht. Vielleicht ist das ein bisschen schade, aber viel schlimmer fände ich es, ernsthaft die vorgeschlagenen Floskeln vorzutragen: „Im Laufe der Jahre wurde dieser Ehe der perfekte Feinschliff verpasst. Jetzt ist sie so strahlend, wertvoll und widerstandsfähig wie ein Diamant. Diese Liebe wird in der Familie gewiss auch dann noch in Erinnerung bleiben, wenn das Paar einmal nicht mehr ist.“

Das Letzte, woran ich denken möchte ist, dass meine Eltern mal nicht mehr so sind, wie sie sind. Und die Liebe meiner Eltern als „strahlend“ zu bezeichnen, würde mit Sicherheit nicht nur mir albern vorkommen. Von Liebe spricht man bei mir Zuhause nicht, stattdessen wird lautstark diskutiert, ob zu viel oder zu wenig Petersilie auf der Suppe ist. Zum Glück ist die Trocken-Petersilie, die mein Vater einstmals günstig im Großhandel erworben hatte und deren Verwendung meine Mutter verweigerte, seit ein paar Jahren verbraucht – aber als Running Gag funktioniert sie immer noch bestens.

Vielleicht schenken wir einfach zum Hochzeitstag noch mal fünf Kilo getrocknete Petersilie. Bei uns in der Familie zeigen wir Liebe nämlich, indem wir übereinander frotzeln. Und demzufolge könnte man getrost sagen: Meine Eltern – und auch wir Kinder – lieben uns alle von ganzem Herzen!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Birte Müller
Freie Autorin
Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!