■ Die deutschen Intellektuellen und Journalisten haben ein Problem: Jörg Haider. Wie ist dem „sympathischen Menschen“ (Giordano) nur beizukommen? So zahnlos und unkritisch wie Sigmund Gottlieb und Marion von Haaren im ARD-Interview sicher nicht. So eitel und schlecht vorbereitet wie Freimut Duve und Erich Böhme im n-tv-Talk sicher ebenfalls nicht: Medienprofis unter sich
Ja, so hat man sich den Haider immer vorgestellt: Der Studiogast unterbricht die anderen Diskussionsteilnehmer. Er schießt mit dümmlicher Polemik quer. Er weicht aus, sobald ein Gegenüber ihn festzunageln versucht. Für die Fakten, die er präsentiert, weiß er keine Quellen. Leider nur handelt es sich bei dem missratenen Studiogast nicht um Jörg Haider.
Es ist der feinsinnige Freimut Duve, einst sozialdemokratischer Vorzeige-Intellektueller, jetzt aus dem Bundestag fortgelobt auf den Posten eines Medienbeauftragten der OSZE. Jörg Haider hat sich bei seinem ersten Talkshowauftritt in Deutschland verhalten, wie man es sich von seinen Gegnern gewünscht hätte: Er konnte zuhören und ließ sich nicht provozieren. Auf Polemik reagierte er sachlich, auf Vorwürfe, indem er Fehlinterpretationen aufdröselte und Beschuldigungen in einen Zusammenhang stellte. Trotz zunehmender Gereiztheit seiner Gegenüberblieb er entspannt.
Wenn die politische Auseinandersetzung in Österreich nur annähernd so verläuft wie die n-tv-Sendung „Talk in Berlin“ am Sonntagabend, versteht man, warum auch vernünftige Leute Haider zuhören. Da sitzt in Gestalt des Publizisten Ralph Giordano, des Moderators Erich Böhme sowie Freimut Duves eine Runde eitler, alter Männer und bestätigt sich in ihren Vorurteilen. Haider dagegen, wach, konzentriert und offen, vermittelt den Eindruck, auf jede Frage eine präzise, manchmal originelle Antwort zu geben. So konfrontiert etwa der Sozialdemokrat Duve Haider mit einem Wust an Behauptungen, die auf die Forderung hinauslaufen, der solle einen angeblich ausländerfeindlichen FPÖ-Politiker ausschließen. „Wann werden Sie einen Antrag auf Ausschluss Ihres Innenministers Schily stellen, der das Individualrecht auf Asyl aushebeln will?“, gibt Haider zurück.
Dann spricht Ralph Giordano lange über ein Buch, das er geschrieben habe und einen Prozess, den er einst gegen Franz Josef Strauß führte (und gewann), und als alles schon gar nicht mehr nach einer Frage an Haider aussieht, wirft er diesem an den Kopf, ein „Zwangsdemokrat“ zu sein. Ja, sagt Haider, „wir Österreicher sind in einem gewissen Sinne Zwangsdemokraten.“ Die Klientelwirtschaft von ÖVP und SPÖ lähme das Land, selbst Kindergärtner oder Arzt könne man nur mit dem richtigen Parteibuch werden. Mit dieser Zwangsdemokratie müsse Schluss sein. Aus Giordanos diffusem Vorwurf der Demokratiefeindlichkeit hat der Politiker aus Österreich ein Argument für seine Sache gemacht. Eine Begegnung zwischen Haider und seinen Kritikern entlarvt die Kritiker, nicht den FPÖ-Chef.
Als Irrtum erwies sich die Vorstellung, Haider komme gedruckt wesentlich schlechter davon als auf dem Bildschirm. Nicht nur ARD und ZDF ließen ihn zu Wort kommen, auch Zeit und Spiegel interviewten ihn. Auf ihrer Titelseite zitiert die Zeit dann schwarz unterlegt: „Irgendwann muss man auch mal aus der Vergangenheit ausbrechen können“ sowie „Wie oft soll ich mich noch entschuldigen?“ Haider, so wird insinuiert, habe sich einmal mehr als Nazi geoutet. Wie problematisch dieser Umgang mit Einzeläußerungen ist, zeigen Zitate, die nicht auf der ersten Seite auftauchen: Im Zusammenhang mit Elie Wiesels Aufforderung, der Bundespräsident möge sich für die Verbrechen an den Juden entschuldigen, wird gegen die „politische Mode“ des Entschuldigens polemisiert. Eine öffentliche Entschuldigung sei das „billigste“ Mittel. Politiker, die sich dessen bedienen, „stellen durch das Entschuldigungsgetue ihre moderne Selbstgerechtigkeit aus“. Die Zitate fehlen mit gutem Grund auf der Seite 1. Sie stammen von einem Zeit-Redakteur im Feuilleton derselben Ausgabe.
Haiders Auftritte seien Show, wurde in den letzten Tagen immer wieder gewarnt: So demokratisch er sich gegenüber Journalisten gibt, so hetzerisch ist er anderswo. Doch das Argument greift zu kurz. Die Niederlage der selbst erklärten Entzauberer Haiders fällt selbst bei wohlwollender Begutachtung so derb aus, weil sie in Widerspruch zu sich selbst geraten. Sie geben an, auf die Kraft der Argumente zu vertrauen und Debatten für das geeignete Mittel zur Klärung politischer Fragen zu halten. Statt Argumenten bieten sie oft nur diffuses Sentiment. Ihr Rettungsanker ist ihr hilfloses Schielen auf ein Publikum, mit dem sie sich in moralischer Überlegenheit verbunden wissen.
Die Intellektuellen beseelt der Glaube ans Wort, doch im Umgang mit dem Politiker Haider müssen sie erfahren, dass das Wort für ihn bedeutungslos ist. Er benutzt es wie ein Papiertaschentuch für einen bestimmten Zweck und wirft es weg, sobald er ein neues braucht. Worte existieren für ihn ohne Konsequenzen. Darum müssen die journalistischen Wortjäger scheitern: Alle Mühe wenden sie auf, ihm ein Bekenntnis zum linksliberalen Wertekonsens der Nachkriegszeit zu entlocken. Unmöglich, so ihr Kalkül, unmöglich kann einer wie Haider seiner braunen Anhängerschaft ein solches Bekenntnis zumuten. Irrtum, er sagte sie alle, die Sätze, die sie aus seinem Munde für unvorstellbar hielten: Der Besuch von KZ-Gedenkstätten „müsste eigentlich für jeden Demokraten selbstverständlich sein“, sagt er dann oder auch den Satz: „Der Holocaust hat in seiner Einmaligkeit als Verbrechen eine solche Dimension, dass er weit über das 20. Jahrhundert hinaus wirken wird.“ Richard von Weizsäcker hätte es nicht schöner sagen können. Patrik Schwarz
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