■ Die deutsch-tschechischen Beziehungen kriseln noch immer: Bonner Großmachtarroganz
Heute wird Bundespräsident Herzog ein paar schöne, gewiß auch nachdenkliche Worte an ausgesuchte tschechische Jugendliche richten. Doch auch das ändert nichts daran, daß es zwischen Prag und Bonn kriselt. Auch im siebten Jahr nach dem Fall der Mauer und der „samtenen Revolution“ in Prag, klingen die Töne aus Bonn manchmal, als würde man mit dem Statthalter eines Territoriums reden, das zur deutschen Verfügung stehen könnte.
Um den Mangel an politischer Normalität zwischen Tschechien und Deutschland zu erklären, genügt es nicht mehr, auf Kohls innenpolitischen Rücksichten zu verweisen. Denn wenn es stimmte, daß lautstarke Reden von CSU-Politikern und die Angst vor sudetendeutschen Wählerstimmen (die keineswegs so geschlossen konservativ sind, wie man uns glauben machen möchte) zum Haupthindernis für normale Beziehungen zwischen Prag und Bonn geworden sind, dann muß man fragen: Wieso wird das Verhältnis zu einem Land, mit dem die Bundesrepublik die längste gemeinsame Staatsgrenze teilt, innenpolitischen Interessen geopfert? Vielleicht weil man in Bonn der Meinung ist, sich gegenüber Prag diese Art der Herablassung leisten zu können?
Im Umgang mit Tschechien wie mit einem Staat minderer Kategorie scheinen erste Anzeichen einer Großmachtarroganz hervorzutreten. Noch nicht ganz offen, doch inzwischen deutlich genug, wird am Beispiel Tschechien zum erstenmal ein Anspruch auf die in beiden Weltkriegen verlorenen Einflußzonen vorformuliert. Soll das scheinbar schwächste Glied – die nur elf Millionen Einwohner zählende Tschechische Republik – zum Testfall werden? „Böhmen und Mähren“ als Spielwiese für Phantasien vom Wiedererstehen eines alten deutschen Mitteleuropa?. Dies wäre nicht nur töricht, sondern gefährlich.
Mit den Gedenkveranstaltungen zum 50. Jahrestag des Kriegsendes, bei denen sich Helmut Kohl 1995 stark hervortat, mag in Deutschland das Ende der Nachkriegszeit eingeläutet worden sein. Die östlichen Nachbarn – so auch die Tschechen – hingegen verbinden mit diesem neuen Zeitabschnitt vor allem die Hoffnung auf selbstbestimmtes Dasein. Daß dafür ein deutscher Hinterhof eher ungeeignet wäre, versteht sich von selbst. Richard Sklorz
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