: Die christliche Leere
■ Zum Kirchentag strömen die Massen, aber im Alltag bleiben die Kirchen leer Nur Kulturveranstaltungen füllen die Gotteshäuser
Der Kirchentag ruft, und 148.000 kommen. Massengottesdienste und christliches Gemeinschaftsgefühl, von „sterbender Kirche“ keine Rede. Der Alltag in den Gemeinden ist jedoch weniger spektakulär. Die offiziellen Zahlen der Kirchenoberen führen 13 „ständige Kreise“ pro Gemeinde auf, die im wesentlichen nach sozialen Gruppen geordnet sind: Kinder- und Jugend-, Frauen- und Mütter-, Männer-, Ehepaar und Seniorenkreise werden neben Bibelkreisen und Kirchenchören genannt. Laut statistischen Angaben, nehmen im Schnitt zehn bis dreizehn Personen an diesen Zusammenkünften teil. Gut 40 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik, das sind 24,9 Mio. Menschen, gehören der Evangelischen Kirche an. Die Zahlen zueinander ins Verhältnis gesetzt verdeutlichen, wie gering das Interesse am kirchlichen Leben ist.
Beim Streifzug durch die Gemeinden Berlins fällt auf, daß die Gruppen in der aufgeführten Form so kaum noch existieren. „Da sitzen vielleicht vier, fünf alte Damen zusammen, die vor 40 Jahren als Mütterkreis angefangen haben, und nennen das jetzt Bibelkreis“, erzählt ein Pfarrer. Aber solche langjährigen, festen Zirkel sind rar; sie sterben mit den Alten dahin.
Einige Gemeinden sind dazu übergegangen, offene Gruppen zu einzelnen thematischen Schwerpunkten einzurichten. Doch auch diese halten sich kaum länger als einige Monate und wachsen selten über ein Dutzend Beteiligter hinaus. Pfarrer Mankievicz von der Passionsgemeinde in Kreuzberg bringt die Situation des Kirchenalltags auf den Punkt, wenn er sagt: „Die Kirche kann mit dem reichhaltigen Freizeitangebot längst nicht mehr konkurrieren.“ Die Suche der Menschen nach Gott kehrt sich heutzutage um in die Suche der Kirche nach Menschen. Neue Wege in der Gemeindearbeit sind gefragt und werden teilweise seit einigen Jahren erprobt. Die Passionsgemeinde stellt dabei ein bemerkenswertes Beispiel dar. „Offene Kirche“ lautet deren Konzept, und das heißt nicht nur, daß sämtliche Einrichtungen und Gruppen für alle offenstehen. Auch das Gotteshaus selbst wird für die verschiedensten Veranstaltungen vom Jazzkonzert über Theateraufführungen und Diskussionsveranstaltungen zur Verfügung gestellt.
„Natürlich vermieten wir nicht unsere Kirche“, weist Pfarrer Mankievicz die hämischen Bemerkungen zurück. „Die Veranstaltungen müssen schon inhaltlich in den Rahmen unserer thematischen Schwerpunkte passen.“ Angefangen hat das alles vor sieben Jahren, als der damalige Pfarrer, ein begeisterter Jazzfan, begann, die ersten Konzerte zu organisieren. Namhafte Musiker wie Bob Marley und Egberto Gismonti sind dort schon aufgetreten. Das vergleichsweise kleine Gotteshaus mit den 300 Plätzen im Kirchenraum und 500 Plätzen auf drei Emporen war dann brechend voll. Allmählich entwickelte sich daraus die Idee, die Kirche zum Erlebnis und Begegnungsraum zu machen.
Zu ihrem 80jährigen Bestehen in diesem Jahr hat die Passionskirche die Ferdinand-von-Quast-Medaille erhalten. Der Preis wird seit drei Jahren für optimale Kirchennutzung ohne Umbau verliehen. Sonntags allerdings bleibt auch dieses Gotteshaus meist leer. Allenfalls 20 bis 50 Gläubige versammeln sich noch zum traditionellen Gottesdienst. Die Kirchen veröden, die Gemeinden sterben dahin - zu zwei Dritteln durch den Tod ihrer Gemeindemitglieder, zu einem Drittel durch Kirchenaustritte. Über 90 Prozent der evangelischen Christen existieren für die Kirche allenfalls noch als Karteileichen. Doch mit den Kirchensteuergeldern finanzieren sie größtenteils die breit gefächerte Sozialarbeit der Evangelischen Kirche, die im Alltag als ausgesprochene Kirchenarbeit kaum mehr wahrgenommen wird.
Beate Kirchenmaier
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