■ Die britischen Konservativen wählen einen neuen Chef: Tories in Trümmern
Die Tories haben sämtliche Finger am Selbstzerstörungsknopf. Die Frage ist nur, ob sie ihn heute drücken oder erst am Donnerstag. Daß William Hague, der nicht nur von seinen Feinden als „charismafreie Zone“ bezeichnet wird, spätestens übermorgen im dritten Wahlgang zum neuen Parteichef gewählt wird, steht so gut wie fest.
Premierminister Tony Blair wird mit einem Gläschen Champagner auf Hague anstoßen, denn dessen Wahl führt die Tories geradewegs und für lange Zeit in die Bedeutungslosigkeit. Der 36jährige ist unter falscher Flagge angetreten: Er hat den Abgeordneten vorgegaukelt, daß er als Kompromißkandidat für Ruhe in der zerstrittenen Partei sorgen könne. Kaum war die erste Wahlrunde vorbei, bewegte er sich unaufhaltsam nach rechts, um sich die Stimmen der beiden ausgeschiedenen Kandidaten vom rechten Flügel zu sichern. Und da steht er nun – und mit ihm die Partei, wenn er gewählt wird. Glaubt Hague, daß er noch auf der Universität sei, wo einem im Debattierwettbewerb ein Standpunkt zugeteilt wird, den man auf Teufel komm raus verteidigen muß – und am nächsten Tag ist alles vergessen? Seine Anhänger und die britische Industrie werden ihn sehr wohl an seine Euro- feindlichen Äußerungen erinnern.
Die Tories haben offenbar nichts von Labour gelernt. Nachdem Thatcher 1979 an die Macht kam, wählte Labour Michael Foot zum Parteichef und zerfiel in einen gemäßigten und einen linken Flügel. Das Ergebnis ist bekannt: 18 Jahre Tory-Herrschaft. Doch den konservativen Abgeordneten geht es derzeit offenbar allein um den Besitz der Partei. Und da hat der rechte Flügel die Nase vorn. Das spiegelt aber nicht den Zustand der Partei wider. Bei Umfragen unter den Europaabgeordneten und den Parteimitgliedern schneidet der europafreundlichere Kenneth Clarke deutlich besser ab als Hague. Und auch die WählerInnen trauen ihm mehr zu als Hague.
Den Tory-Abgeordneten ist das egal. Sie handeln, als ob sie noch an der Macht seien. Dabei geht es für sie gar nicht darum, sich für immer und ewig auf eine Position zum Euro festzulegen. Jetzt ist lediglich Oppositionspolitik gefordert. Der einzige, der bei den Tories diese Rolle spielen könnte, wäre Clarke. Ein „Riese unter Zwergen“, so nannte ihn ein Kommentator. Hague wird auf seinem neuen Posten nicht viel Freude haben, wenn der Riese ihm von den Hinterbänken ins Handwerk pfuscht. Ralf Sotscheck
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