■ Die britische Regierung übt nicht nur in der Europäischen Union den Alleingang. Auch die meisten Farmer haben sich längst von Majors Kollisionskurs abgewandt. Doch was schert das den echten Taktiker?: Selbst der Bauer ist schlauer
Die britische Regierung übt nicht nur in der Europäischen Union den Alleingang. Auch die meisten Farmer haben sich längst von Majors Kollisionskurs abgewandt. Doch was schert das den echten Taktiker?
Selbst der Bauer ist schlauer
„Wir sind sehr enttäuscht“, sagt Kershaw Dalby von der britischen Viehzüchtervereinigung NCBA. „Premierminister sollten sich an die Abmachungen halten, die sie getroffen haben.“ Dalbys Ärger gilt dem Beschluß der britischen Regierung, das mit der Europäischen Union vereinbarte Programm zur Schlachtung BSE-verdächtiger Rinder „vorerst“ auszusetzen – weil neue Erkenntnisse belegten, daß der seit über zehn Jahren grassierende Rinderwahnsinn auch ohne Massenschlachtungen bis 2001 ausgerottet sein werde.
Die Entscheidung kam fast auf den Tag genau ein halbes Jahr, nachdem die britische Regierung zum erstenmal die Möglichkeit eingestanden hatte, daß Rinderwahnsinn sich auf Menschen übertragen könnte. Als Reaktion hatte die EU damals ein weltweites Exportverbot für britisches Rindfleisch und dessen Nebenprodukte verhängt. Als Großbritannien daraufhin in einem nationalistischen Überschwang die Arbeit der EU- Kommission systematisch blockierte, einigten sich Kommission und britische Regierung am 19. Juni auf einen Stufenplan zur Ausrottung von BSE.
Hauptelement dieser sogenannten „Florentiner Vereinbarung“ war die Sonderschlachtung von besonders BSE-gefährdeten britischen Rindern, deren Zahl auf etwa 147.000 geschätzt wurde. Schon im April hatte sich die britische Regierung außerdem bereit erklärt, alle Milchkühe, die älter als 30 Monate sind, auszusondern, damit sie nicht zu Lebensmitteln verarbeitet werden. Das sollte den erfreulichen Nebeneffekt haben, Rinder vom Markt zu nehmen und damit die Preise zu stützen.
Die EU-Kommission, so hieß es damals, werde die Umsetzung dieser Vereinbarung überwachen und dementsprechend das Exportverbot schrittweise lockern. Nun will Großbritannien von der Sonderschlachtung nichts mehr wissen. Da BSE sowieso aussterben werde, heißt es, könne man sich das sparen. Am vergangenen Montag war Agrarminister Douglas Hogg nach Brüssel gereist, um seinen europäischen Kollegen dies zu verklickern. Er kam nicht nur mit leeren Händen zurück, sondern auch mit der Drohung der EU, auf eine Aussetzung des Programms mit der Aussetzung der EU-Ausgleichszahlungen an britische Farmer zu reagieren. Trotzdem schlug er Premierminister John Major genau das vor. Das Kabinett hat dem nun zugestimmt.
Hat Großbritannien damit die Florentiner Vereinbarung aufgekündigt? „Nein“, behauptet Paul Hayward, Sprecher des Agrarministeriums. Sondern: „Wir kehren zu ihr zurück.“ Denn: „Im Florentiner Rahmen wurde vereinbart, daß eine BSE-Ausrottungspolitik auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren soll.“ Und dazu zähle nicht nur die Oxforder Studie, sondern auch die jüngst von Forschern erlangte Gewißheit, daß Rinderwahnsinn mit einer Wahrscheinlichkeit von zwanzig Prozent auch im Mutterleib auf Kälber übertragbar ist. Während manche Wissenschaftler danach befürchteten, daß man vielleicht noch mehr Rinder schlachten müßte, folgerte die Regierung das Gegenteil: Statt 147.000 müßten jetzt nur ungefähr 22.000 Rinder geschlachtet werden, die verdächtigt werden, sich vor der Geburt angesteckt zu haben. Offiziell kann die Regierung Major ein solches reduziertes Programm allerdings nicht beschließen, da das der EU obliegt. „Die EU-Kommission sollte so flexibel sein wie möglich“, sagt Hayward und kündigt eine Strategie des Aussitzens an: „Wir wollen diskutieren, solange es geht.“
Und das deutet auf den wahren Grund des britischen Sinneswandels hin. Geplant war, daß das Schlachtprogramm in Angriff genommen wird, wenn das Unterhaus im November darüber abgestimmt hat. Viele Beobachter gehen davon aus, daß die Regierung eine solche Abstimmung verlieren würde. Die Euroskeptiker bei den regierenden Tories sind prinzipiell gegen alles, was nach Brüsseler Diktat riecht, und auch die Labour-Opposition ist skeptisch. Als Douglas Hogg aus Brüssel zurückkehrte, kritisierte ihn sein Labour- Gegenstück Gavin Strang nicht etwa dafür, das Schlachtprogramm aussetzen zu wollen, sondern für sein Scheitern. Jetzt aber stellt sich Labour hinter die Regierung: „Es macht Sinn, das Schlachtprogramm neu auszurichten“, sagt ein Sprecher. „Wir haben immer gesagt, daß alle neuen Erkenntnisse berücksichtigt werden müssen.“
Die einzige gesicherte Wirkung der Kehrtwende ist, daß das EU- Exportverbot gegen Großbritannien bis auf weiteres bestehen bleibt. Das trifft vor allem die Bauern. Sie sind ohnehin sauer auf die Regierung, da das im April beschlossene Programm zur Aussonderung älterer Milchkühe viel zu langsam anläuft. Bisher sind etwa 500.000 solche Rinder vom Markt genommen worden; aber zur Zeit kommen pro Woche weniger als 20.000 dazu, anstatt, wie geplant, 25.000. Nach Angaben des Züchtervereinigungs-Chefs Dalby gibt es inzwischen einen Überhang von 200.000 Rindern, die schon hätten geschlachtet werden sollen und nun teuer auf den Höfen herumstehen. Die Folge: „Die Preise sind ruiniert, der Markt für Milchkühe ist zusammengebrochen.“
Ironischerweise verlautet aus regierungsnahen Kreisen immer wieder, daß die Massenschlachtung wegen der ablehnenden Haltung der Bauern nicht durchsetzbar sei. Dalby dagegen meint, daß „die überwiegende Mehrheit“ hinter dem Schlachtprogramm steht: „Viele Bauern haben Rinder, die zu den Risikogruppen gehören. Jetzt wissen sie nicht mehr, was sie mit ihnen machen sollen. Wir möchten das Programm hinter uns bringen, damit die anderen EU- Staaten das Exportverbot aufheben.“ Darauf kann er jetzt lange warten. Dominic Johnson, London
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