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Die blutige Spur der Todesschwadrone

■ Recherchen der englischen Zeitung Observer bestätigen, was die Polizei mit allen Mitteln zu verbergen suchte: die Existenz von Todesschwadronen in Nordirland

Von Matti Lieske

Als ein junger Mann namens Martin McAuley am 24. November 1982 in Begleitung des siebzehnjährigen Michael Tighe in einen Heuschober bei Ballyneery im nordirischen County Armagh einstieg, ahnten die beiden nicht, daß dieser Schober schon seit längerem von den „Sicherheitskräften“ überwacht worden war. Drei Monate vorher hatte die Elitetruppe MI5 hier eineinhalb Tonnen Sprengstoff gefunden, diesen aber als Köder liegenlassen. Die Sache lief jedoch schief. Eine IRA–Einheit entfernte unbemerkt den Sprengstoff und führte ihn wenig später seiner ursprünglichen Bestimmung zu. Am 27. Oktober starben drei Polizisten, als sie bei Kinnego auf eine aus dem bewußten Sprengstoff hergestellte Mine fuhren. McAuley und Tighe fanden nur noch drei alte, ungeladene Gewehre, kamen aber nicht dazu, diese genauer zu untersuchen. Von draußen wurde das Feuer eröffnet, Michael Tighe, der erwiesenermaßen keine IRA–Verbindung hatte, war sofort tot, McAuley überlebte und wurde später wegen unerlaubten Waffenbesitzes verurteilt. Seine Version, daß die Polizei ohne Warnung auf die beiden unbewaffneten Männer geschossen habe, fand vor Gericht keinen Glauben. Die Aktion war das Werk der „Headquarter Mobile Support Unit“ (HQMSU), einer Todesschwadron der nordirischen Poli zei, deren blutige Spur jetzt von der englischen Wochenzeitung „Observer“ offengelegt wurde. Die Einheit bestand zum großen Teil aus ehemaligen Soldaten, meist Engländern, die von Angehörigen der berüchtigten Anti– Terror Truppe SAS trainiert wurden. Sie operierte abseits der gewöhnlichen nordirischen Polizei (RUC) und unterstand direkt Mitgliedern der politischen Abteilung „Special Branch“ in Belfast. Verantwortlich für die Einheit war Sir John Hermon, der Polizeichef Nordirlands. Die Mitglieder der HQMSU operierten in Dreiergruppen und waren in dunkelgrüne Jerseys oder Anoraks gekleidet. Ihre Aufgabe bestand darin, Personen, die der IRA– oder INLA (Irish National Liberation Army)–Mitgliedschaft verdächtig waren, aufzuspüren und sie sofort zu töten.Am 11. November 1982 lauerte die HQMSU in Lurgan drei Männern auf. Eugene Toman und Sean Burns waren von einem Polizeispitzel, der 20.000 Pfund erhielt, der Mitwirkung an dem Anschlag von Kinnego bezichtigt worden. In einer wildwestartigen Verfolgungsjagd wurde ihr Ford Escort, den ein Mann namens Gervaise McKerr fuhr, von 109 Kugeln durchsiebt. Einem der Männer wurde nach Beendigung der Jagd durch die offene Beifahrertür ins Herz geschossen. Alle drei waren unbewaffnet. Am 12. Dezember folgte ein Fahrzeug der Todesschwadron den beiden INLA–Verdächtigen Seamus Grew und Roddy Carroll sogar ein beträchtliches Stück durch die Republik Irland. Im nordirischen Armagh wurden die beiden dann erschossen. Auch sie waren unbewaffnet. Grew wurde mit einer Kugel im Hinterkopf neben dem Auto gefunden. Ein Kriminalist ohne Furcht und Tadel Die Mitarbeiter des „Observer“ waren indes nicht die ersten, die die Spur der Todesschwadrone aufnahmen. Aufgeschreckt durch die Proteste gegen die „Todesschußpolitik“ der Sicherheitskräfte, die noch weitere Opfer forderte und auch heute keineswegs zu den Akten gelegt ist, leiteten die englischen Behörden eine Untersuchung ein. Am 24. Mai 1984 wurde John Stalker (47), der Polizeichef von Groß–Manchester mit der Durchführung beauftragt. Stalker galt als ein Polizist wie aus einem Edgar–Wallace–Roman entsprungen: intelligent, aufrecht, direkt, integer, keine Mühe scheuend, ein Kriminalist ohne Furcht und Tadel. Und tatsächlich wurde schnell deutlich, daß er seine Aufgabe nicht wie viele Vorgänger darin sah, die Polizei reinzuwaschen. Mit Sorgfalt machten Stalker und sein Team sich daran, der Wahrheit über die sechs Todesfälle von 1982 auf den Grund zu gehen, sehr zum Unmut der RUC und ihres Chefs, Sir John Hermon, die ihm seine Aufgabe erschwerten, wo sie nur konnten: Wen auch immer er kontaktieren wollte, die Person war erstmal nicht verfügbar. Wollte Stalker etwa mit den Familien der getöteten Republikaner sprechen, wurde er am Rand der für Angehörige der englischen Polizei nicht ganz ungefährlichen katholischen Stadtviertel abgesetzt und alleingelassen. Immer wieder bekam er Warnungen, daß die RUC ihn durch protestantische Paramilitärs ermorden lassen wolle. Panik bei Nordirlands Polizei Doch trotz aller Widrigkeiten entdeckte Stalker, was er nicht entdecken sollte. Er verfaßte einen Zwischenbericht, den er wegen seiner Brisanz binden und mit numerierten Seiten versehen ließ. Der Bericht empfahl, mehrere höhere RUC–Offiziere anzuklagen und löste Panik in den Reihen der nordirischen Polizei aus. RUC– Chef Hermon, der dadurch ebenfalls ins Zwielicht geriet, leitete den Bericht nicht wie üblich sofort weiter, sondern hielt ihn geschlagene sechs Monate zurück. In dieser Zeit versuchte er, einen entlastenden Gegenbericht erstellen zu lassen, was jedoch kläglich mißlang. Stalkers Erkenntnisse waren nicht zu widerlegen.Inzwischen hatte John Stalker eine weitere sensationelle Entdeckung gemacht. Der Heuschober, in dem Michael Tighe erschossen wurde, war mit einer Abhöranlage versehen gewesen und es existierte ein Tonbandmitschnitt der fraglichen Nacht. Hermon weigerte sich schlicht, die Abschrift des Bandes herauszugeben und verlangte eine diesbezügliche Weisung von oben. Auch die von Stalker geforderte Suspendierung zweier hoher Polizeioffiziere lehnte Sir John ab, da das der Moral schädlich sei. Erzürnt über diese merkwürdige Art der Amtshilfe besorgte sich Stalker die Weisung zur Herausgabe des Bandes und schickte sich an, nach Belfast zu reisen, um Mister Hermon einige unbequeme Fragen zu stellen. Kurz vor seiner Abreise erhielt er die Mitteilung, daß ihm die RUC–Untersuchung entzogen und ein Disziplinarverfahren gegen ihn eröffnet worden sei. Nordirlandminister Tom King gab kurz darauf zu, daß die Suspendierung Stalkers auf Betreiben von Sir John Hermon zustandegekommen sei. Ein Skandal wird vertuscht Gegen Stalker wurden allerlei abstruse Anschuldigungen vorgebracht: er habe bei einer Party, auf der zahlreiche Gangster anwesend gewesen seien, Klavier gespielt oder habe sich von bekannten Kriminellen Reisen finanzieren lassen. Die Untersuchung gegen Stalker führte Constable Colin Sampson, der der Einfachheit halber auch gleich mit der Nordirland–Untersuchung betraut wurde. Von den Vorwürfen gegen John Stalker erwies sich nur einer als stichhaltig: daß er seinen Dienstwagen mindestens fünfmal für Fahrten zu Fußball– und Rugbyclubs oder gesellschaftlichen Ereignissen mißbräuchlich benutzt habe; ein Sündenregister, wie es „über jeden Bischof des Landes“ (Stalker) erstellt werden könnte. Vor einigen Wochen wurde Stalker freigesprochen, die RUC–Untersuchung wurde ihm jedoch nicht wieder übertragen.Mittlerweile schreibt Colin Sampson seinen Bericht. Über den Inhalt braucht nicht gerätselt zu werden. Sampson hielt es weder für nötig, sich um das umstrittene Tonband zu kümmern, noch, Sir John Hermon auch nur eine Frage zu stellen.

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