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Die beste Pointe der FußballgeschichteJetzt sind wir quitt – oder nicht?

War das nicht gegebene Tor für die Engländer am Sonntag in Bloemfontain "Rache" für das dritte Tor 1966 in Wembley? Sind wir jetzt quitt? Eine Antwort

Okay, der war drin. Bild: reuters

BERLIN taz | Das 4:1 der deutschen Mannschaft im WM-Achtelfinale gegen England wird aus deutscher Sicht als ein so großartiges Spiel betrachtet, dass die gesamte WM historisch als Erfolg verbucht werden wird. Gut so.

Darüberhinaus hat sich aus der Partie folgende Frage ergeben: War das nicht gegebene Tor für die Engländer in Bloemfontein "Rache für Wembley", wie es seit Sonntag gern gesagt und geschrieben wird – oder zumindest ausgleichende Gerechtigkeit für jenes "dritte" Tor der Engländer gegen das westdeutsche DFB-Team, das ihnen 1966 im WM-Finale zum einzigen Mal den WM-Titel einbrachte?

Das WM-Finale von 1966 steht genauso wie der Mythos von Bern 1954 im Kontext des II. Weltkrieges, allerdings umgedreht. Deutschlands Sieg in Bern war zwar von Kampf und Willen gespeist, aber letztlich der glückliche Sieg eines geläuterten, kleinen Trümmerlandes. Ein Sieg, der auch aus einer List des Trainers herrührte.

Die Niederlage des Wirtschaftwunder-Deutschlands ein Jahrzehnt später in Wembley wurde von interessierten Kreisen als "ungerecht" dramatisiert. Wichtig für den Aufbau einer Dolchstoßlegende war selbstverständlich, dass der entscheidende Linienrichter ein Sowjetrusse war, was oft als "der Russe" verkürzt wird.

Er kam jedenfalls aus der damaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan, hieß Tofil Bahramov und entschied auf Tor, als Geoff Hursts Kopfball in der Verlängerung von der Unterkante der Latte Richtung Torlinie sprang und dann zurück ins Feld.

Der gesellschaftliche Umgang mit diesen sportlichen Ereignissen und die enorme Bedeutung, die ihnen beigemessen wurde, ist nur aus der Zeitnähe zu 1945 verständlich, wie etwa auch der Eindruck eines Teiles der westdeutschen Gesellschaft, es handele sich bei Kiesingers und später Willy Brandts Regierung um einen faschistischen Staat.

Und der? Bild: ap

Am Sonntag sprang nun 44 Jahre später Frank Lampards Lattenschuss nach unten und eindeutig hinter die Linie. Das ist ein Indiz dafür, dass sich Glück und Pech im Fußball ausgleichen, wenn man lange oder oft genug gegeneinander spielt. Darüberhinaus gibt es keinerlei Zusammenhang mit dem dritten Tor von Wembley.

Es gibt den Deutschen von damals, ob Spieler wie Uwe Seeler oder Fans, nicht den WM-Titel von damals. Es hilft den Engländern wie Lampard heute nicht, dass damals auf Tor entschieden wurde. Es gibt keine "ausgleichende Gerechtigkeit".

Es sind neue Menschen und es ist eine neue Welt und eine neue Fußballwelt. Im Bewusstsein der in den späten Achtzigern geborenen Gelsenkirchener Jungen Özil und Neuer oder in dem des Stuttgarters Khedira kann das Weltkriegs-Kontext-Tor von damals keine Rolle spielen – und das ist sehr gut so.

Im übrigen: Wembley 1966 wurde abgehakt, als die bisher beste deutsche Mannschaft der Fußballgeschichte 1972 im EM-Viertelfinale zurückkehrte und keine ausgleichende Ungerechtigkeit einforderte, sondern die Engländer mit spielerischen Mitteln ("Ramba-Zamba") und 3:1 auseinandernahm.

Diskutabel heute ist allein die spielstrategisch-taktische Frage. In beiden Fällen hätte es bei einer anderen Schiedsrichterentscheidung 2:2 gestanden. Nach Hursts Treffer 1966 war das Spiel praktisch für die Engländer entschieden.

Wäre am Sonntag Lampards Schuss als Tor gegeben worden, hätte die Partie von Bloemfontain in der zweiten Halbzeit neu und gleichberechtigt begonnen und nicht mit dem Nachteil für die Engländer, dass sie angreifen mußten.

Bei aller Begeisterung für den Tempo-Fußball unserer fragilen Neu-Inkarnation einer Ramba-Zamba-Mannschaft und bei allen berechtigten Hinweisen auf die Plumpheit des englischen Spiels: Die Tore zum 3:1 und zum 4:1 waren faszinierende Kontertore, bei denen man mit einiger Berechtigung annehmen kann, dass sie bei Gleichstand so nicht gefallen wären.

Wer dann das dritte Tor geschossen hätte, ist eine nicht zu beantwortende Frage. Doch nur wer an die Fiktion einer nationalen Fußballidentität im Jahrhundertkontext glaubt, wird sich nun "quitt" fühlen können.

Wenn man aber die globale Unterhaltungsfunktion des Fußballs betrachtet, kommt man darauf, was das nicht gegebene Tor für die Engländer wirklich ist: Eine grandiose Pointe der Fußballgeschichte. Ohne das Wembley-Tor könnte sie nicht funktionieren. Danke, Tofik Bahramov.

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