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■ Die bayerische FDP will mit einem Volksbegehren die Sondergesetze des Freistaates zum Paragraph 218 aufhebenLöbliche Initiative – falsche Fronten

Zur Erinnerung: Das Bundesverfassungsgericht verhinderte Ende Juni durch einstweilige Anordnung, daß das bayerische Sondergesetz zum Paragraphen 218 in Kraft tritt. Dies Gesetz verbietet Frauenärzten, mehr als ein Viertel ihrer Einnahmen durch Schwangerschaftsabbrüche zu verdienen. Bayern will damit den Betrieb von Praxen verhindern, die sich auf Schwangerschaftsabbrüche spezialisieren. Weil diese derzeit mehr als die Hälfte – nämlich rund 6.000 bis 10.000 – aller Schwangerschaftsabbrüche im Freistaat durchführen und bei Inkrafttreten des Gesetzes ihre Praxen hätten schließen müssen, klagten zwei Mediziner aus Nürnberg und München vor dem Verfassungsgericht. Diesem Antrag gab der Erste Senat in Karlsruhe „einstweilig“ statt. Jetzt versucht die FDP, die bayerischen Sondergesetze komplett aufzuheben.

Vieles müßte zu dieser unsäglichen Situation gesagt werden. Schon die Richter in Karlsruhe haben im Juni eine Chance zur Selbstkritik vertan. Denn im Gerichtssaal wurde ein Widerspruch behandelt, der nicht auf bayerischem Mist gewachsen ist. Seit dem Verfassungsgerichtsurteil vom Mai 1993 ist der Abbruch einer Schwangerschaft eine rechtswidrige, also kriminelle Handlung, für die allerdings unter bestimmten Bedingungen die Bestrafung ausgesetzt wird. Nicht strafwürdig ist ein Abbruch, wenn die Frau sich vorher einer Zwangsberatung in Sachen „Lebensschutz“ unterzogen hat, sich die Pflichtübung bescheinigen läßt, um danach von einer zweiten Instanz, einem Mediziner, den Abbruch machen zu lassen. Die staatlich verordnete zwangspädagogische Einweisung und die Medikalisierung des Eingriffs – nur Ärzte dürfen handeln – sind Voraussetzungen dafür, daß die Strafe ausgesetzt wird. Dies wiederum verpflichtet paradoxerweise den Gesetzgeber, dafür zu sorgen, daß genügend Institutionen für die (rechtswidrige) Dienstleistung zur Verfügung stehen.

Das Karlsruher Urteil vom Mai 1993 enthielt neben der Kriminalisierung der Sache auch einen „Sicherstellungsauftrag“ an den Gesetzgeber, nämlich die Pflicht, eine wohnortnahe Beratung und ärztliche Versorgung der Frauen zu gewährleisten. Also die Instanzen „umfassend“ bereitzustellen, die ermöglichen, was man vorher kriminalisierte. So etwas nennt man einen Widerspruch in sich. Das bayerische „Schwangerenhilfeergänzungsgesetz“ will diesen Widerspruch durch Aufsicht über die Ärzte auflösen – wenn niemand bewilligt wird, kann auch niemand Abtreibungen durchführen. Eine klare Logik.

Das Ganze wäre bloß ein Treppenwitz alter Männer, würde er nicht auf dem Rücken von Frauen ausgetragen. Geschichten müßten erzählt werden, um anschaulich zu machen, was es für ungewollt Schwangere bedeutet, wenn sie vom Schliersee nach München oder aus Weiden nach Nürnberg fahren müssen, um den Abbruch zu bekommen. Zwei Drittel der Frauen, die einen Abbruch durchführen lassen, sind Mütter. Sie müssen, wenn dies schon verpflichtend ist, eine leicht zugängliche, unabhängige Beratungsstelle finden und einen Arzt in der Nähe. Nicht eine halbe Tagesreise entfernt. Das Karlsruher Urteil von 1993 ist nicht unschuldig daran, daß von den etwa 1.000 bayerischen Gynäkologen bisher nur 14 einen Antrag auf Erlaubnis zum Schwangerschaftsabbruch gestellt haben.

Medizinisch ist ein Abbruch heute einfach und ungefährlich. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts versäumten im Juni, die wirklichen „Nachteile“ für Frauen anzusprechen, nämlich die scheinheilige Haltung, die in diese Sackgasse führte. Die soziale Stigmatisierung der ungewollt Schwangeren empört, und dies haben auch die Richter im Juni bekräftigt, als sie keinen Einwand erhoben gegen die „Pflicht zur staatlichen Genehmigung“ für abtreibungswillige Ärzte. Ich frage mich, warum nicht auch Gynäkologen bürokratisch zur „staatlichen Genehmigung“ verpflichtet werden, bevor sie überflüssige und gefährliche Eingriffe vornehmen – zum Beispiel Totaloperationen oder Kaiserschnitte.

Aus einer weiteren Perspektive sieht der Streit um die bayerischen Gesetze noch verrückter aus: Der zugleich kriminalisierte wie staatlich bereitgestellte Schwangerschaftsabbruch ist in den 90er Jahren nur ein Moment in einem umfassenden Zugriff auf den Frauenkörper als Ort der Produktion von sogenanntem „Leben“. Daß sich Gynäkologen nicht durch Sondergenehmigung als Abtreiber abstempeln lassen wollen, kann ich verstehen. Sie handeln in ihren Praxen sonst auch ohne zusätzliche Konzession für einzelne Leistungen, zum Beispiel in der „Schwangerenvorsorge“. Während ungewollt schwangere Frauen schwer einen Arzt finden, sehen sich Frauen im Zustand der guten Hoffnung einem flächendeckenden Angebot pränataler Diagnostik gegenüber. Serien von „diagnostischen Maßnahmen“ werden ihnen aufgeschwätzt: Tests, Untersuchungen, Ultraschall-Lotungen bis hin zur „Altersindikation“ und zum Screening- und Selektionsprogramm gegen die noch ungeborenen Früchte. In einigen Bundesländern entkommt nur die Hälfte aller Schwangeren dem Etikett der Risikoschwangeren. Die meisten dieser Maßnahmen haben umstrittenen Wert, stellen Belästigungen und Kosten dar und sind nicht ohne Gefahr.

Mit der Novellierung des Paragraphen 218 fiel die „embryopathische Indikation“ weg, aber mit einer „medizinischen Indikation“ kann auch im fortgeschrittenen Stadium die Schwangerschaft mit einem genetisch oder chromosomal getesteten, für negativ befundenen Kind legal beendet werden. Hier liegt für mich ein entscheidender Widerspruch aus der Sicht der Frauen. Einerseits wird Frauen, die nicht schwanger werden wollen, mit Zwangspädagogik ein „Leben“ eingeredet. Gleichzeitig sollen sie dazu verführt werden, den eigenen Zustand biologisch zu sentimentalisieren und sich als Mutter zu fühlen. Andererseits wird bei Frauen, die gewollt schwanger sind, alles getan, die Wirklichkeit des kommenden Kindes zu entwirklichen. Die einen sollen sich ein abstraktes „Leben“ einkörpern, und der Zugang zu einem technisch einfachen Verfahren wird ihnen erschwert. Den anderen Frauen wiederum wird es mit großem technischem Aufwand fast unmöglich gemacht, im traditionellen Sinn mit einem Kind guter Hoffnung zu sein.

Deshalb meine ich, daß die Initiative der bayerischen FDP, so löblich sie ist, doch aus Frauensicht nicht radikal genug durchdacht ist. Barbara Duden

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