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■ Die automatische Kinokartenreservierung: ES weiß, warum ich „Starship Troopers“ sahErst PIEP, dann SCHTOPP

Das automatische Kinokartenreserviersystem ist ein großer Fortschritt. Wenn man zum Beispiel am Sonntag abend ins Kino, nicht aber Ewigkeiten zwischen unüberschaubaren Formationen pickeliger Popcornschmatzer am Kassenterminal des Cinemacenters um Tickets anstehen will, hilft es einem ungemein. Man wählt einfach nachmittags nach dem Aufstehen das System an, reserviert und legt sich wieder hin. Der Film beginnt um 20 Uhr. Eine halbe Stunde vorher können Sie die Karten am Reservierungsschalter abholen. Dort ist die pickelige Schmatzerschlange sehr übersichtlich. So hat man noch Zeit, um in der Casablanca-Bar auf der zweiten Ebene des Cinemacenters ein Viermarkzwanzigpils mit ganz wenig Schaum zu trinken. Oder zwei, denn der Film startet ja erst nach der Werbung.

Das automatische Kinokartenreserviersystem hat eine menschliche Stimme. Man tritt mit ihm über ein ganz normales Telefon in Kontakt, und ES spricht mit einem. Man muß selber auch mit ES sprechen, jedoch keine ganzen Sätze, sondern immer nur ein Wort. Das aber öfter und an verschiedenen Stellen. Das Wort ist SCHTOPP.

Da im Cinemacenter an allen sieben Tagen der Woche Filme gezeigt werden, muß ES natürlich wissen, für welchen dieser Tage man Karten bestellen will. Will man wie ich also sonntags ins Kino, muß man, wenn ES SONNTAG gesagt, eine kleine Pause und ein PIEP gemacht hat, laut und deutlich SCHTOPP sagen und kann nun Karten reservieren.

Weil das Cinemacenter groß ist, können dort ungefähr 15 verschiedene Filme gleichzeitig laufen. Also sagt einem ES zunächst deren Titel. Besser ist, wenn der Film, für den man Karten reservieren möchte, ganz am Anfang der Aufzählung steht. Nach jeder Titelnennung macht ES nämlich wieder eine Pause und dann PIEP. Jetzt muß der Anrufer SCHTOPP sagen, wenn er den genannten Film sehen will. Meistens ist es so, daß der gewünschte Titel erst am Ende von ES' Aufzählung steht, also zum Beispiel an 13. Stelle. Dann hat man schon zwölf Namen von Filmen und zwölf PIEPs gehört, die einen nicht interessieren. Also muß man etwas Geduld und Zeit aufbringen, um nach dem 13. PIEP und SCHTOPP die Karten zu reservieren.

Im Cinemacenter kann man ab mittags Filme sehen. Klar, daß ES jetzt noch wissen muß, für welche Vorstellung die Reservierung gelten soll. Für die um 13 Uhr 15, um 15 Uhr 30, um 17 Uhr 45, um 20 Uhr 15 oder für die um 22 Uhr 30. Also sagt ES alle diese Uhrzeiten der Reihe nach an, macht nach jeder eine Pause und nach jeder Pause ein PIEP. Will man wie ich die Vorstellung um 20 Uhr 15 besuchen, hat man also nach dem 20-Uhr-15- PIEP SCHTOPP zu sagen.

Zu diesem Zeitpunkt dauert das Gespräch mit dem automatischen Kinokartenreserviersystem fünf Minuten. Durch die vielen PIEPs, Pausen und SCHTOPPs kommt einem die Zeit allerdings viel länger, bestimmt dreimal solang vor. Und auch ES scheint ein von der Wirklichkeit abweichendes Wahrnehmungsempfinden zu haben. Jedenfalls zeigt ES jetzt deutliche Symptome von Mattigkeit und Unkonzentriertheit. Kein Wunder, ES ist schließlich rund um die Uhr im Einsatz. Bestimmt muß ES tausendmal am Tag die immer gleichen Ansagen machen und trotzdem sehr aufmerksam sein. Schließlich darf kein SCHTOPP überhört werden.

Mein SCHTOPP nach dem 20- Uhr-15-PIEP verhallt von ES ungehört. Stoisch bietet ES mir statt dessen noch die 22-Uhr-30-Vorstellung an, macht PIEP und die bekannte PAUSE. NEIN rufe ich in sie hinein, etwas ärgerlich und deswegen wohl recht laut. Zu laut vielleicht. Das fremdartige, laute NEIN scheint bei ES einen gehörigen Adrenalinausstoß zu verursachen, ähnlich dem eines Autofahrers, der bei 160 km/h aus dem Sekundenschlaf gebrüllt wird. Jedenfalls reagiert ES falsch. Sein internes Krisenmanagement bricht zusammen. ES bietet mir jetzt unsinnigerweise erneut alle Vorstellungen ab 13 Uhr 15 aufwärts an, macht PIEPs und Pausen, will aber partout wieder nicht auf mein vehement in die Post-20-Uhr-15- Stille geschmettertees SCHTOPP reagieren. Wieder und wieder wiederhole ich diesen Versuch – erfolglos. ES kollabiert nun vollends und will sich in einer dramatischen Übersprungshandlung an den Anfang seines Auftrags retten. Wenn ich keine Kinokarten reservieren, sondern Informationen wolle, müsse ich eine andere Rufnummer wählen. Ich lege auf.

„Das automatische Kinokartenreserviersystem ist ein großer Fortschritt“, denke ich, als ich am Sonntag abend gegen 19 Uhr 15 am Kassenterminal des Cinemacenters inmitten unüberschaubarer Formationen pickeliger Popcornschmatzer um Kinokarten anstehe. Nebenan, am Abholschalter für telefonisch reservierte Karten, steht niemand an.

Kurz vor 20 Uhr erfahre ich von der Ticketverkäuferin, daß die 20-Uhr-15-Vorstellung des gewünschten Films ausverkauft ist. Jetzt habe ich sehr schlechte Laune. Genaugenommen sogar Mordgelüste, die sich windhundschnell in undifferenzierte, quasi faschistoide Vernichtungsphantasien steigern. Mir wird übel. Ich könnte vor mir selbst auskotzen. Die offenbar mit der seltenen Gabe des Gedankenlesens ausgestattete Verkäuferin bietet mir Karten für „Starship Troopers“ an. Ich greife zu und erledige das in der Vorstellung. Fritz Eckenga

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