Die „andere“ Seite von Kuttula

■ Behörde hat nun doch Kritik an finnischer Jugendeinrichtung / Schläge sind „nicht auszuschließen“ / Alle fünf Kinder sollen zurück Von Kaija Kutter

Die Hamburger Jugendbehörde wird ihre Zusammenarbeit mit dem finnischen Jugenddorf „Kuttula“ aufgeben. Alle fünf Hamburger Kinder, so bestätigte gestern Jugendamts-Referent Wolfgang Lerche, sollen nach Deutschland zurück, sobald es passende „Anschlußhilfen“ für sie gibt.

Ausschlaggebend für die Entscheidung, so Lerche zur taz, sei das abschließende Gutachten des Bremer Professors Jürgen Blandow, der bereits im Juni im Auftrag der Jugendbehörde in das 250 Kilometer nördlich von Helsinki gelegene Dorf gereist war. Doch während Blandow damals in einer ersten Pressekonferenz verkündete, er habe keine Spuren von Gewalt festgestellt und eine „sehr friedfertige, unaggressive Atmosphäre“ angetroffen, zeigt das neue Gutachten die „andere Seite von Kuttula“, wie es Lerche formuliert.

Nach mehreren „zielgerichteten Interviews“ auch mit Jugendlichen, die im vergangeneen Jahr aus Kuttula geflüchtet waren, sei nicht auszuschließen, daß „entwürdigende Sanktionsmaßnahmen und auch Schläge zum Repertoire gehören“. Auch die Tatsache, daß die Kinder wegen sprachlicher Verständigungsschwierigkeiten nicht ausreichend über ihre psychische Probleme reden könnten, spreche gegen Kuttula. Lerche: „Die Einrichtung bietet in krisenhaften Zuspitzungen nicht die erforderliche Hilfe.“

Der Wortlaut des Gutachtens soll lediglich der „Fachwelt“ gezeigt werden. Das Papier einer Hamburger Lehrerin, die den September in Kuttula verbrachte und laut Abendblatt ebenfalls nicht ausschließt, daß es dort zu „physischen Strafen und kränkenden Maßnahmen kommt“, sei nur für den internen Gebrauch.

Pikant ist die Wende der Jugendbehörde vor dem Hintergrund der Ereignisse dieses Sommers. Die Mitarbeiterin eines Berliner Jugendamts hatte im April Kuttula besucht und anschließend von „menschenunwürdigen Erziehungsumständen“ gesprochen. Ihr Vorgesetzter Manfred Rabatsch forderte den Berliner Jugendsenator daraufhin auf, bundesweit vor Kuttula zu warnen.

Nach der Rückkehr des von Blandow angeführten „Expertenteams“ von dessen erstem Kurztrip nach Finnland Mitte Juni bescheinigte das Hamburger Jugendamt Kuttulas deutschem Anwalt, die Recherchen hätten „keinen Anlaß gegeben, die Zusammenarbeit mit dem Jugenddorf Kuttula in Finnland zu beenden und einzelne Jugendliche nach Hamburg zurückzuholen“. Dieser benutzte den Schrieb, um vor dem Berliner Verwaltungsgericht einen Maulkorb für die Berliner Kritiker zu erwirken, der inzwischen wieder aufgehoben wurde.

„Es hat sich gezeigt, daß wir mit unserer kritischen Haltung Recht gehabt haben“, sagte Rabatsch gestern zur taz. Er hatte in einem „Gegengutachten“ das Vorgehen Blandows scharf angegriffen. Seiner Ansicht nach hätten Gespräche mit aus Kuttula geflüchteten Jugendlichen am Anfang stehen müssen. Blandow, der gestern übrigens nicht zu erreichen war, hatte dies erst im Anschluß an sein erstes Gutachten getan. Für Wolfgang Lerche stellt der Zeitverlust kein Problem dar. „Handlungsdruck“, die Kinder dort sofort rauszuholen, gebe es bis heute nicht.