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Die „andere Schweiz“

Manchmal sind selbst die Zubers gegenüber Fremden zuerst einmal mißtrauisch: Wer ich denn sei und was ich von ihnen wolle, lautet die Gegenfrage, als ich mich das erste Mal telefonisch verabreden will. Die Vorsicht ist verständlich. Seit die Arztfamilie die „Aktion für abgewiesene Asylbewerber“ (AAA) ins Leben gerufen hat, flattert nicht nur freundliche Post in ihren Briefkasten im Berner Vorort Ostermundingen. Das „Waldheim“, ein bauernhofähnliches Anwesen der Zubers, liegt weit abgelegen, mitten im Wald. Kaum aus dem Landrover gestiegen, mit dem mich Peter Zuber an einem Treffpunkt abholte, düsen laut kreischend und mit ausgestrecktem Hals, den Kopf dicht über dem Boden, zwei Graugänse auf mich zu. Als sie den Hausherrn erkennen, beruhigen sich die angriffslustigen Biester. „Das sind unsere Wächter“, schmunzelt Zuber. Im Hausgang lungert ein beeindruckender Bernhardiner herum. Am Küchentisch sitzt „einer unserer Freunde“, ein junger Tamile. Hier saß letzten Sommer auch eine Familie aus Ghana, der die Zwangsausweisung drohte. Die Zubers nahmen sie kurzerhand mit nach Hause und drohten für den Fall, daß die Polizei sie abholen wollte, sich mit Handschellen an die Gäste zu fesseln. Die Behörden lenkten ein. „Eine Geheimorganisation“ Die Zivilcourage des Ärzteehepaares Heidi und Peter Zuber hat mittlerweile Tradition. Als 1984 die Regierung in Bern die Rückschaffung einer Gruppe abgewiesener tamilischer Asylbewerber beschloß, „haben wir uns entschlossen, dem Bundesrat privat die Stirn zu bieten“, berichten sie von der Geburtsstunde der AAA. Einige Tamilen warteten damals im „Waldheim“ auf ihre Verhaftung. 24 Stunden vor Ablauf der letzten Frist beschloß die Regierung, vorerst keine Tamilen mehr nach Sri Lanka „auszuschaffen“. Entstanden ist keine Organisation, eher ein locker geknüpftes Netz unabhängig voneinander operierender Kleinstgruppen. Wendet sich ein abgewiesener Asylbewerber an die AAA, wird er zunächst privat versteckt; eine Kommission studiert dann den Fall, prüft die Chancen juristischer Revision oder vermittelt die Weiterreise in ein Drittland. Ziel: die Rückschaffung des Flücht lings in sein „Heimat“land zu verhindern, falls ihm dort Gefahr droht. Bisher duldete der Staat die Aktivitäten; ein von einem Abgeordneten der „Nationalen Aktion“ gegen Zuber angestrengter Prozeß steht noch aus. Von ihrer Arbeitsweise her sei die AAA „sozusagen eine Geheimorganisation“; wegen vermuteter Telefonüberwachung, werden in heiklen Fällen nur öffentliche Telefonkabinen benutzt, was Peter Zuber schon „ein bißchen an die Resistance erinnert“. Im Dorf gilt er weder als Aussteiger noch als Außenseiter; seit 15 Jahren arbeitet er hier als Arzt; jeden Donnerstag abend übt er in der freiwilligen Feuerwehr. Nach der persönlichen Motivation seines Engagements befragt, meint er fast militärisch knapp: „Wenn Leiden festgestellt wird, müssen wir eingreifen nach Maßgabe unserer Möglichkeiten.“ „Marxistisches Christentum“ Sein intellektueller Background ist eine für viele Aktivisten der schweizerischen Asylbewegung typische Mischung aus progressivem Christentum und Verantwortungsgefühl für die Dritte Welt. Er selbst gibt als ideologische Stützen die Heilige Schrift „im Sinne der Befreiungstheologie“ sowie die marxistische Gesellschaftsanalyse an. „Nennen Sie es christlichen Marxismus oder marxistisches Christentum, wie Sie wollen.“ 1984 war er mit seiner Tochter in Nicaragua. Die „Synthese aus Christentum und engagiertem Sozialismus eines Ernesto Cardenal beispielsweise, das ist eindrücklich“. Die Zubers haben übrigens drei eigene Kinder - „und viele Tamilenkinder“, wie lachend hinzugefügt wird. Christlich motivierte Aktivisten und Kirchenleute scheinen heute den Kern der Asylbewegung in der Schweiz zu bilden. Sie haben nach dem Vorbild der US– amerikanischen Sanctuary–Bewegung die Tradition des Kirchenasyls wiederbelebt und setzen sich in der Asylfrage in offene Opposition zum Staat. „Wer regiert die Schweiz - die Kirche oder der Bundesrat?“ überschrieb das Boulevard–Blatt Blick, das eidgenössische Bild–Pendant, am Dienstag dieser Woche eine Leserbriefseite zum Thema. Jacob Schädelin schmunzelt bei der Lektüre. Er ist Pfarrer in Bethlehem, einem Ortsteil von Bern. „Auf der abstrakten Ebene ist eine Mehrheit der Schweizer sicher für eine harte Asylpolitik, wo es aber um konkrete Menschen geht, ist es uns gelungen, Verständnis zu wecken“, faßt der Kirchenmann seine Erfahrungen zusammen. Seine Kirchengemeinde mit dem biblisch– gastfreundlichen Namen gehört zu jenen insgesamt zehn, die im Oktober letzten Jahres Patenschaften über die 32 von der Zwangsausweisung bedrohten Tamilen übernahmen. Am ersten Advent bezog eine Tamilen–Familie mit drei Kleinkindern eine bis dahin leerstehende Pfarrwohnung. Das Geschäft des Vaters in Colombo war 1983 niedergebrannt worden, die Familie der Mutter lebt im für Tamilen gefährlichen Norden des Landes. Daß man diese Familie, das jüngste Kind ist gerade neun Monate alt, nicht zwangsweise zurückverfrachten dürfe, erklärt Pfarrer Schädelin auf die Frage nach den Reaktionen in der Gemeinde, „das leuchtete auch Leuten ein, die sonst Schwierigkeiten haben, behördliche Anordnungen nicht zu befolgen“. Ein Schlüsselerlebnis für ihn selbst war ein Besuch des brasilianischen Bischoffs Dom Helder Camara 1979 in seiner Gemeinde. Notrecht gegen Flüchtlinge Aber nicht nur der Gottesmann, auch der Staatsbürger Schädelin fühlt sich zur Opposition aufgerufen: Eine Art Notstandsklausel im neuen Asylgesetz, über das im April abgestimmt wird, spricht der Regierung das Recht zu, in bestimmten Situationen das Asylrecht einzuschränken. Damit wird erstmals in der Geschichte der Schweiz (außer in Kriegszeiten) ein Notrecht gesetzlich verankert. Als „staatspolitischen Sündenfall“ wertet Schädelin diese „Unterhöhlung des Rechtsstaates“. „Wer garantiert uns dann, daß nicht bald Notrecht auch gegen Schweizer, z.B. AKW–Gegner, angewandt wird?“ Über den Ausgang der Volksabstimmung macht sich der Pfarrer keine Illusionen. Trotzdem war es seiner Meinung nach richtig, sie durch Sammeln von 50.000 Unterschriften erzwungen zu haben; sie dokumentiere die Existenz einer Opposition, einer „anderen Schweiz“ in der Asylfrage. Denn: „Schon Schweigen heißt mithelfen.“

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