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„Die alten Männer sind wieder an der Macht“

Täglich treffen bis zu 1.000 deutschstämmige Rumänen aus Siebenbürgen und dem Banat in der Nürnberger Durchgangsstelle ein / Angst vor Bürgerkrieg und Nationalismus / Westdeutsche Busunternehmer wittern gutes Geschäft  ■  Aus Nürnberg Bernd Siegler

„Die Kapazitäten sind erschöpft.“ Klaus Stöcker, Leiter der Zentralen Durchgangsstelle für Aussiedler fühlt sich erinnert an den Herbst letzten Jahres. Kamen damals die Ausreisewilligen aus der DDR in Strömen, treffen jetzt täglich bis zu 1.000 meist deutschstämmige Rumänen aus Siebenbürgen und dem Banat in Nürnberg ein. Die beiden ehemals dem Elektrokonzern Grundig gehörenden Hochhäuser sind die zentrale Anlaufstelle für alle deutschstämmigen Rumänen, die es in die Bundesrepublik zieht.

In den Abendstunden bilden sich lange Schlangen vor den Hochhäusern, die 1.100 Betten sind bis auf den letzten Platz gefüllt. Obwohl Klaus Stöcker und seine KollegInnen fieberhaft nach Unterbringungsmöglichkeiten in Hotels und Kasernen suchen, mußten am letzten Wochenende manche Neuankömmlinge unter freiem Himmel schlafen. Stöcker fordert jetzt „politische Lösungen, um den Aussiedlerstrom in vernünftige Bahnen zu lenken“. Die Aussiedler kommen zumeist mit der Bahn über die CSFR und Österreich nach Nürnberg. Gezeichnet von den Strapazen der stundenlangen Fahrt landen sie in Nürnberg, sie sind „abgespannt aber glücklich“, erzählt eine gestreßte Mitarbeiterin der Bahnhofsmission.

Wir haben Angst vor einem Bürgerkrieg“, erzählt ein Maurer aus Siebenbürgen, der sich mit seiner Frau, seinen drei Kindern und den Großeltern, auf den Weg in die BRD gemacht hat. Sein ausgezeichnetes Deutsch verrät, daß die Infrastruktur der deutschen Minderheit in Rumänien mit Schulen und kulturellen Institutionen intakt war. Stellvertretend für seine Landsleute macht er seinem Mißtrauen gegenüber der „Nationalen Front“ und dem neuen Staatspräsidenten Ion Iliescu Luft. „Die alten Männer sind wieder an der Macht, es hat sich nichts geändert.“ Andere fühlen sich in Rumänien als Minderheit zusehends unter Druck gesetzt. Der wiedererstarkende rumänische Nationalismus richte sich „radikal gegen uns Deutsche, Ungarn und andere Minderheiten“.

Viele kommen jetzt in die Bundesrepublik, weil nach dem ab 1. Juli in der BRD gültigen neuen Einreisegesetz bereits in den Herkunftsländern die Nachweise für die deutsche Abstammung erbracht werden müssen, bevor die Einreisegenehmigung erteilt wird. Derzeit sei es kein Problem, ein Visum von der deutschen Botschaft in Bukarest zu bekommen. Allein im April dieses Jahres hat die deutsche Botschaft 16.000 Visa erteilt, über 30.000 Aussiedler aus Rumänien kamen seit Anfang des Jahres in die Bundesrepublik. Bundesdeutsche Busunternehmen wollen bei diesem zu erwartenden Geschäft nicht abseits stehen. Für „250 Mark pro Kopf inklusive zwei Koffer“ holen sie die Aussiedler in klapprigen Omnibussen aus Rumänien in die Bundesrepublik. Während für rumänische Bürger und Roma seit dem Wochenende die DDR-Grenze die Endstation für ihre Flucht bedeutet, haben die deutschstämmigen Rumänen keine derartigen Probleme. Zudem besitzen sie hier meist mindestens einen Verwandten, der sie unterstützt. Auch die „Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben“ hilft ihnen weiter. Die Betreuung beginnt gleich in der Durchgangsstelle. „Man kann als Deutscher in Rumänien nicht mehr leben“, behauptet eine Vertreterin der Landsmannschaft.

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