Die Zeitung für den kleinen Leser: Warum Quallen glitschig sind
Ohne Quatsch: Mit anspruchsvollen Inhalten versuchen Verlage Kinder zu Lesern fürs Leben zu machen.
Martin Doerry reiste Ende vergangenen Jahres nach München, um Kinder und Eltern zu beobachten. Wie ein "Tatort"-Kommissar stand er hinter einer Glasscheibe und schaute zu, wie Kinder und Eltern im Nachbarraum durch zwei Hefte stöberten. Was die 32 Kinder und 16 Eltern da in ihren Händen hielten, war in der Branche bisher nur gerüchteweise bekannt: der "Kinderspiegel", ein Ableger des Nachrichtenmagazins, dessen stellvertretender Chef Doerry ist.
Die Probanden kämpften sich durch zwei Testausgaben und erklärten einem Moderator, was ihnen gefiel und was eher nicht. Der gemeinsame Titel: "Super Obama". Magazin eins zeigte ihn als Comic im Superman-Outfit, die zweite Variante klassisch auf einem Foto. Den Kindern hat die Realität besser gefallen. In der Studie zu dem Experiment heißt es deshalb: "Kinder möchten ernste Themen nicht illustriert wissen." Sie wollen eben für voll genommen werden.
Seit diesem Monat liegt das Heft aktualisiert an den Kiosken aus. Es heißt Dein Spiegel, sieht dem Heft für Erwachsene kaum ähnlich und bleibt bis Anfang Oktober in den Läden. Ein fünfwöchiger Test, der zeigen soll, ob sich Kinder für Print begeistern lassen - entgegen allen Klischees, die der Jugend eine Abkehr vom Gedruckten nachsagen. Mehrere Verlage und Nachrichtenagenturen haben Kinder als Zielgruppe erkannt.
Vor zwei Jahren haben sich einige Spiegel-Redakteure überlegt: Wie können wir unsere Geschichten Kindern näher bringen? Aus dem Elternabend der Investigativen wurde ein Projektteam, das sich fortan umstellen musste: "Kinder verstehen die Spiegel-typische Ironie nicht", sagt Doerry. "Wir können uns nicht mehr so sehr erlauben, mit der Sprache zu spielen."
Im Politikressort fragen sie nun, ob Kinder für gute Noten Geld bekommen sollten. Das Gesellschaftsressort "Menschen" porträtiert Obamas Oma, die "im Präsidentenhaus vor allem eines macht: Party", und die Wirtschaft schreibt über Schauspielerin Miley Cyrus ("Hannah Montana").
Dieser Text ist aus der sonntaz vom 12./13.9.2009 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk.
Dein Spiegel tritt im Wesentlichen gegen Geolino an, den Marktführer unter den Magazinen, die auf Schüler der Klassenstufen drei bis sieben abzielen. Geolino verkauft inzwischen gut 240.000 Hefte und hat damit sogar Micky Maus überholt.
Wie das Mutterblatt setzt Geolino auf Wissenschaft, Technik und Natur. Laut Chefredakteur Martin Verg müssen Magazine für diese Altersgruppen bei der ganzen Familie ankommen: "Bei unseren Heftpreisen kaufen uns doch nur die Eltern." Und die blättern oft selbst darin. Auch Vergs Redaktion hat gelernt, Kinder nicht für dumm zu verkaufen. "Uns ist es lieber, wenn ein Kind die eine oder andere Geschichte nicht versteht, als wenn es angeödet ist."
Der Gruner+Jahr-Verlag hat inzwischen auch die noch Jüngeren im Blick. Mit Geomini hat er ein Magazin für Erst- und Zweitklässler vorgelegt. Das setzt auf Malen und Basteln, erklärt aber auch das Leben der Astronauten. Die Hoffnung: Aus Geomini- werden Geolino-Leser. Fraglich bleibt allerdings, ob die jungen Leser treu bleiben, wenn sie Teenager sind. Spiegel-Mann Doerry glaubt: "Wer Dein Spiegel liest, tummelt sich anschließend erst einmal im Internet. Sollte er sich mit achtzehn, neunzehn oder zwanzig Jahren wieder für Gedrucktes interessieren, greift er zum Spiegel - wenn wir alles richtig gemacht haben."
Der Medienforscher Carlo Imboden ist sicher: "Spezielles für Kinder ist der sinnvollere Weg, um junge Leser zu erreichen". Einzelne Angebote für Kinder in der Zeitung hält er für keine gute Idee. Die Seiten davor und dahinter seien absolut unverständlich. "Dadurch wird das Image geprägt, dass die Zeitung sehr kompliziert ist."
Trotzdem: Auch Tageszeitungen versuchen immer stärker, junge Leser zu gewinnen. Manche Verlage schicken massenweise Gratis-Abos in die Schulen oder suchen Spender, die die Abos bezahlen. Die Hoffnung: Wer einmal Blut geleckt hat, bleibt dabei.
Der Hellweger Anzeiger aus Unna in Nordrhein-Westfalen hat als erste Zeitung in Deutschland vor drei Jahren eine tägliche Kinderseite gestartet. Sie findet sich auf der letzten Seite des ersten Zeitungsbuchs. Der Titel ist regenbogenfarben, Lokales hervorgehoben. Und weil Kinder wissbegierig sein sollen, beantwortet die Zeitung täglich eine Frage wie die: "Warum sind Quallen eigentlich immer so glitschig?"
Redakteurin Nicole Brückner spricht von "durchweg positiven" Rückmeldungen. Als Beleg zitiert der Hellweger Anzeiger einen Leser mit den Worten: "Unser Hund ist jetzt am Boden zerstört. Früher hat er immer die Zeitung aus dem Briefkasten geholt. Und jetzt ist unsere Tochter jeden Morgen schneller als er."
Die meisten Zeitungen verwenden für ihre Kinderangebote das Material der Nachrichtenagenturen. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) hat ihren Kinderdienst im Frühjahr 2007 gestartet, der Hauptkonkurrent Deutscher Depeschendienst (ddp) folgte ein halbes Jahr später.
Beide sind überrascht vom Erfolg und arbeiten nach eigener Aussage "mindestens kostendeckend". Mit Kindernachrichten lässt sich mitunter also sogar Geld verdienen. "Kinder interessieren sich viel mehr für internationale Politik und die Welt, als wir dachten", sagt Petra Kaminsky, Redaktionsleiterin des dpa-Kinderdienstes. Ihre Kollegin Judith Roth vom ddp sagt: "Wir setzen an Sachverhalten an, die sie schon kennen." Ein Trick sei etwa, aktuelle Entwicklungen an Kindern in anderen Ländern aufzuhängen.
Beide Agenturen liefern täglich mehrere Kinder-Meldungen an ihre Kunden. Der ddp produziert sogar wöchentlich eine komplette Kinderseite. Dann erklären etwa in der Nordseezeitung und der Schwäbischen Zeitung das Schwein Klaro und die Giraffe Safaro, was die Vereinten Nationen sind.
Tägliche Seiten, monatliche Magazine. Warum nicht eine Tageszeitung für den Nachwuchs? Der Axel Springer Verlag hat vor einigen Jahren Markttests durchgeführt - mit durchaus positivem Ergebnis. Trotzdem soll der Dummy in der Schublade bleiben. Der Verlag glaubt nicht daran, dass sich eine tägliche Kindertageszeitung rechnen würde.
Dem Hellweger Anzeiger brachte zumindest die tägliche Kinderseite Erfolg. Bei den neuen Abo-Verträgen habe sich die Zahl in der Altersgruppe zwischen 35 und 40 Jahren verdoppelt. Chefredakteur Volker Stennei zieht daraus den Schluss, dass Eltern die Zeitung kaufen, weil ihre Kinder sie lesen wollen. So soll die Auflage mindestens gehalten, bestenfalls gar gesteigert werden.
Und wenn Journalisten für Kinder schreiben, kann das auch den Erwachsenen helfen. Bei der Deutschen Presse-Agentur erzählen sie sich jedenfalls gerne, dass etwa Springers Welt auf den sonst so schwerfälligen Politikseiten schon mal Meldungen des dpa-Kinderdienstes übernommen hat. Weil sie so leicht zu verstehen waren.
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