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Die Zeit heilt viele Wunder

■ Auszüge aus einem Artikel von Hans-Dieter Schütt in der 'Jungen Welt‘

Wähntest Du etwa, ich sollte in Wüsten fliehen, nur weil nicht alle Blütenträume reiften? So läßt Goethe seinen Prometheus fragen; einige fliehen, und einige glauben, es sei das Schlaraffenland. Was aber das Menschliche angeht, sind es wirklich Wüsten, in die sie freudig ziehn. Über Ungarn und Österreich. Die Zeit heilt viele Wunder, an die manche jetzt noch glauben. (...)

Was den Imperialismus so erbittert, gerade in Bonn, ist seine historische Niederlage auf deutschem Boden, ist die DDR, die man seit 40 Jahren bespuckt, beschießt, begeifert, belügt, bedroht, beklaut, erniedrigt, zu vernichten, zu übersehen, auszuhöhlen, auszusaugen versucht.

Vergeblich!

Da sind wir aber immer noch!

Und bleiben es und feiern es!

Und da halten uns auch die nicht auf, die sich hier nicht länger aufhalten wollen. (...)

Gesellschaftliche Veränderungen in einem Land können nur von jenen Menschen gemacht werden, die darin leben. Daß auch jüngere Bürger unseres Staates den Belastungen des Klassenkampfes nicht gewachsen sind, das macht traurig. Daß sie den Verlockungen und dem ungezügelten Schüren bestimmter individueller Sehnsüchte, jenseits gesellschaftlicher Verantwortung und Verpflichtung im Sozialismus erliegen - es macht auch zornig. Wir brauchen jeden, und wir wollen jeden

-vorausgesetzt, er ist bereit, sein Scherflein für unser gemeinsames Werk beizutragen und mit am Ausbau der Werte mitzuwirken, die die menschliche Überlegenheit unserer Ordnung beweisen. (...)

Unwillkürlich fallen mir angesichts der Ereignisse in Ungarn jene Reden von Vertretern der ungarischen Opposition ein, die am 16. Juni zur Wiederbestattung von Imre Nagy gehalten wurden; Reden, die der Stimmung einer Trauerfeier absolut nicht angemessen waren, statt dessen scharfe Angriffe auf die USAP, die Sowjetunion, den Sozialismus und die internationalen Verpflichtungen der UVR (!) enthielten. Was sich im Juni in konzentrierter Form als Programm des extremistischen Teils der Opposition in Ungarn offenbarte und der Bevölkerung zu suggerieren suchte, es seien im Grunde die sozialistischen Länder, die den reibungslosen Erneuerungsprozeß in Ungarn behinderten - das bleibt als Verdacht auch jetzt und trägt nicht zum internationalistischen Gemeinschaftssinn bei. (...)

Und noch einmal, bei aller Enttäuschung über die ungarische Reaktion: Die Initiative dieser antisozialistischen Aktion ging nicht vom befreundeten Ungarn aus, sondern von Bonn!

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