INTERVIEW: „Die Zeit für ein seriöses Angebot ist da“
■ Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Dreßler über das Verhalten der SPD-Führung in der Tarifrunde
taz: Herr Dreßler, haben Sie in der Endphase der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst davon gewußt, daß die für die SPD-Länder und -Kommunen handelnden Vertreter auf der Arbeitgeberseite für die Ablehnung des Schlichterspruchs votieren würden?
Dreßler: Nein, davon wußte ich nichts. Als ich davon hörte, war ich entsetzt, denn jeder, der ein bißchen Ahnung von Tarifverhandlungen hat, wußte, daß damit die Verschärfung der Situation vorprogrammiert war.
Haben Sie, hat die Führung der Partei versucht, auf ihre Leute Einfluß zu nehmen?
Die Tarifautonomie gilt auch für den öffentlichen Bereich, und meine Position war immer, daß sich die Politik da tunlichst herauszuhalten hat. Die handelnden Tarifvertragspartner müssen das alleine machen, weil es ihr Job ist. Wenn die Politik sich einmischt, kann das nicht gutgehen. Auf der anderen Seite muß man von den Beteiligten erwarten können, daß sie öffentliche Signale der jeweils anderen Seite auch aufnehmen und verstehen. Die Folgen einer Ablehnung des Schiedsspruch hatten die Gewerkschaften überdeutlich gemacht.
Als der Schiedsspruch vorlag und die ÖTV- Führung trotz erheblicher Kritik an der Basis die Zustimmung erklärt hatte, war doch klar, daß das Nein den Arbeitgebern rein fiskalisch teurer kommen würde als ein Ja.
Das sehe ich genauso. Darum ist mir die Ablehnung des Schiedsspruches so unverständlich.
Für die Bundesregierung, die einen Sündenbock sucht, machte die Ablehnung Sinn. Aber warum hat die SPD da mitgespielt? Haben sie sich von Kohl leimen lassen?
Ich möchte jetzt keine Vergangenheitsbetrachtung anstellen, aber die Ablehnung des Schiedsspruches war aus meiner Sicht ein kapitaler Fehler. Klar ist, daß die Bundesregierung die Verhärtung bewußt herbeigeführt und sich dabei über die Interessen der Länder und Kommunen hinweggesetzt hat. Jetzt müssen wir nach vorne blicken, jetzt ist die Zeit dafür da, endlich ein neues, ein seriöses, ein sozial vertretbares Angebot vorzulegen.
Die Verhandlungsführerin der SPD-Länder, Finanzministerin Heide Simonis, sitzt in der Regierung des SPD-Vorsitzenden Björn Engholm. Die wird ja wohl kaum ohne den Segen ihres Regierungschefs agiert haben. Hat Engholm hier sein erstes politisches Eigentor geschossen?
Ich kenne die Verhandlungsstrategie nicht und weiß auch nicht, welche Gespräche hier eine Rolle gespielt haben. Ich weiß nur, daß die Verhandlungsführung schlecht beraten war, dem Schlichterspruch nicht zuzustimmen.
Hat es nach Streikbeginn Gespräche der SPD- Führung über die künftige Strategie der SPD-Arbeitgeber in Bund und Kommunen gegeben?
Das SPD-Präsidium, dem ja mehrere Ministerpräsidenten angehören, hat die öffentlichen Arbeitgeber schon zweimal aufgefordert, endlich ein seriöses Angebot vorzulegen. Wenn die SPD-Ministerpräsidenten sich einem solchen Text anschließen, dann kann man davon ausgehen, daß sie sich abgestimmt haben und sie entschlossen sind, diese Position jetzt in die Verhandlungen einzubringen. Das ist auch der Grund, warum ich optimistisch bin.
Heute soll es neue Verhandlungen geben. Rechnen Sie mit einer kurzfristigen Einigung?
Ich glaube, die öffentlichen Arbeitgeber wissen jetzt, daß sie sich einen zweiten Fehler nicht leisten können. Man kann wohl jetzt davon ausgehen, daß sie ein seriöses Angebot vorlegen werden. Dann wäre es den Gewerkschaften möglich, zu einem Verhandlungsergebnis und zur kurzfristigen Beendigung des Streiks zu kommen. Das liegt jetzt allein in der Hand der öffentlichen Arbeitgeber.
Kann die ÖTV jetzt noch einem Ergebnis unter 5,4 Prozent zustimmen?
Ich hielte es für völlig falsch, den Gewerkschaften jetzt zu empfehlen, was akzeptabel ist und was nicht. Das wissen die allemal besser als wir alle zusammen, weil sie die Gefühle und Stimmungen ihrer Mitglieder sehr genau kennen.
Was ist ein seriöses Angebot?
Eines, über das die Gewerkschaften verhandeln können, und das kann nicht unter dem früheren Schlichtungsspruch liegen. Interview: Walter Jakobs
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