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Archiv-Artikel

Die Zähmung der Heuschrecken

Hedgefonds sind nicht die Ursache für den kapitalmarktorientierten Umbau der Wirtschaft. Sie profitieren von der politischen Deregulierung. Hier gilt es anzusetzen

DaimlerChrysler hat ein größeres ökonomisches Gewicht als die gesamte Branche der Finanzinvestoren

Die größte Heuschreckeninvasion der Neuzeit ereignete sich 1784 in Südafrika. Damals machten sich etwa 300 Milliarden Insekten über 600.000 Tonnen Pflanzen her. Glücklicherweise trieb der Wind den Schwarm aufs Meer, sodass eine Katastrophe abgewendet werden konnte.

Über 220 Jahre später droht neues Unheil. Diesmal fallen Heuschrecken munter über deutsche Firmen her: Beteiligungsgesellschaften und Hedgefonds gehen auf große Einkaufstour. Aus Sicht der aufgekauften Unternehmen übernehmen die Finanzinvestoren die traditionelle Rolle von Banken. Und die interessieren sich primär für die Bonität des Betriebs. Für die Fonds zählt nur die Rendite. Der lange Atem der Banken weicht der Kurzsichtigkeit der Investoren. Am Pranger stehen zunächst die Spekulanten. Sie setzen bei beteiligten Unternehmen auf schnelle Kursänderungen, zerschlagen und plündern.

Der Armaturenhersteller Grohe, der Finanzdienstleister MLP oder die ehemalige Bosch-Tochter Telenorma haben als Opfer dieser Politik traurige Berühmtheit erlangt. Bei MLP spekulierten Hedgefonds erfolgreich auf massive Kursverluste. Bei Telenorma flogen zwei von fünf Beschäftigten raus. Grohe wurde vom Zinsdienst an die Investoren erdrückt und setzte 500 Mitarbeiter vor die Tür.

Mittelfristig orientierte Finanzinvestoren setzen hingegen auf Wachstum. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen steigt. Für den Geldautomatenhersteller Wincor Nixdorf oder den Autoteilehändler Unger haben sich diese Expansionsstrategien ausgezahlt. Wincor schuf fast 3.000 neue Jobs und Unger ist heute ein Global Player. Da werden aus Heuschrecken plötzlich Honigbienen. Aber auch für diese Metamorphose gilt: Das übernommene Unternehmen bezahlt den Kaufpreis selbst. Somit steigen zunächst seine Schulden. Dies erhöht den Rentabilitätsdruck. Folglich kehrte auch bei betriebswirtschaftlich erfolgreichen Beteiligungen der eiserne Besen. Die Rettungskosten tragen die Belegschaften durch weniger Lohn und unbezahlte Mehrarbeit.

Die Beschäftigungsbilanz der Private-Equity- und Hedgefonds-Industrie ist kein Ruhmesblatt. Damit unterscheidet sich die Branche jedoch nicht vom traditionellen Fusions- und Übernahmegeschäft. Ohne Zweifel muss politisch gehandelt werden. Doch: Die Heuschrecken der Branche für das hässliche Gesicht des Kapitalismus verantwortlich zu machen wäre nun wirklich zu viel der Ehre. Private-Equity-Fonds kontrollieren in Deutschland etwa 5.600 Firmen mit einem Gesamtumsatz von 114 Milliarden Euro und insgesamt 640.000 Beschäftigten. Sie investieren etwa 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Die Hedgefonds verfügen in Deutschland über ein Anlagevermögen von knapp zwei Milliarden Euro. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass sich die Zunft sehr dynamisch entwickelt und Hedgefonds über große Hebel verfügen, reden wir immer noch über Peanuts. Der DaimlerChrysler-Konzern hat ein größeres ökonomisches Gewicht als die gesamte junge Finanzinvestorenindustrie. Die Heuschreckendebatte ist aber nicht nur Ausdruck eines ökonomischen Analphabetismus von Teilen der politischen Klasse. Sie greift konkrete Befürchtungen auf. Und sie ermöglicht eine weitergehende Debatte darüber, wie und warum sich der Rheinische Kapitalismus wandelt.

Der Aufstieg der Private-Equity und Hedgefonds-Industrie ist schließlich nicht vom Himmel gefallen. Und eine Verschwörung der Wallstreet gegen den alten Kontinent erscheint ebenfalls unwahrscheinlich. Nein, der kapitalmarktorientierte Umbau der Unternehmenslandschaft war eindeutig ein nationales und europäisches Projekt: Der Finanzdienstleistungshandel wurde liberalisiert, Veräußerungsgewinne steuerfrei, die Spielräume für Aktienrückkaufprogramme und variable Managervergütungen erweitert, Mehrfach- und Höchststimmrechte abgeschafft.

Der Staat verscherbelte seine Beteiligungen, und Hedgefonds durften erstmals den deutschen Kapitalmarkt betreten. Wer die Spielregeln so verändert, darf sich nicht über neue Spieler und einen veränderten Spielverlauf wundern. Die Finanzmarktreformen stärkten die institutionellen Investoren: Pensions- und Investitionsfonds, Versicherungen. Gemeinsam mit den Vorständen – durch Aktienoptionsprogramme an die Investorinteressen gebunden – wurde eine Unternehmenspolitik etabliert, die heute auf öffentliche Empörung stößt.

Alles was dem kurzfristigen Profit und der Kursentwicklung dient, ist erlaubt: höhere Dividenden, Aktienrückkaufprogramme, Investitionskürzungen, Rationalisierung, Sparprogramme, kreative Buchführung. Ein deregulierter Markt für Unternehmenskontrolle machte das Firmenmonopoly zu einem undurchsichtigen Spiel. Der Streubesitzanteil an den großen Kapitalgesellschaften liegt heute bei 80 Prozent. Zwei von fünf Anlegern kommen aus dem Ausland. Diese neue Anarchie stärkt die institutionellen Investoren und ist eine Spielwiese für feindliche Übernahmen.

Beteiligungsgesellschaften und Hedgefonds nahmen lediglich die Einladung dankbar an. Sie griffen zu, wenn sich Konzerne von nicht profitablen Geschäftsfeldern trennten. Sie waren zur Stelle, wenn mittelständische Unternehmen von ihren Hausbanken keines Blickes mehr gewürdigt wurden. Sie schoben die Scheine über den Tresen, wenn Bund und Kommunen Tankstellen, Krankenhäuser und Wohnungsimmobilien verscherbeln wollten. Und wer sich bei seinen Transaktionen nicht in die Bücher blicken lassen wollte, konnte dies ungestraft tun.

Wenn sich das zukünftig ändern soll, muss es primär darum gehen, langfristige Realinvestitionen gegenüber kurzfristigen Kapitalbewegungen zu privilegieren. Damit sollen Firmen und ihre Beschäftigten vor kurzfristigen und spekulativen Finanzmarkterwartungen geschützt werden.

Investoren von Beteiligungsgesellschaften sollten ihr Engagement zukünftig veröffentlichen müssen

Hierfür gibt es eine Reihe von nationalen und internationalen Politikinstrumenten. Eine nationale Börsenumsatzsteuer verteuert kurzfristige Kapitalbewegungen. Die Bindung des Stimmrechtes der Aktionäre an die Haltedauer ihrer Wertpapiere wirkt spekulativen Attacken entgegen. Eine Begrenzung von Aktienoptionsprogrammen für das Management hilft gegen Kurzsichtigkeit. Mit einer stärkeren Langfristorientierung der Kapitalmärkte sinkt auch das Interesse der Heuschrecken, sich dort niederzulassen.

Dennoch müssen Hedge- und Private-Equity-Fonds zukünftig enger an die Leine genommen werden. Die Investoren von Beteiligungsgesellschaften sollten ihr Engagement zukünftig veröffentlichen müssen. Für Hedgefonds sind eine restriktive Kreditvergabe, eine Obergrenze für Leerverkäufe sowie stärkere Informationspflichten anzustreben. Wohnimmobilien dürfen nicht dem Renditekalkül der Kapitalmärkte überlassen werden.

Dass uns ein glückliches Naturereignis wie einst am Kap Horn zur Hilfe kommt, darauf sollte man sich lieber nicht verlassen. Gefragt ist jetzt das Primat der Politik. DIERK HIRSCHEL