"Die Wolke"-Autorin Pausewang wird 80: Die Furchterregende

Die Schriftstellerin Pausewang wird 80 Jahre alt. Warum bleibt einem eigentlich noch heute das Essen vor Schreck im Hals stecken, wenn man ihren Namen hört?

Schwingt auch mal gerne die Moralkeule: Gudrun Pausewang. Bild: ravensburger

Gudrun Pausewang, das ist ein Name, der etliche um die Dreißigjährige heute noch blass um die Nase werden lässt. Erinnerungen kommen hoch, an in Schockstarre auf dem Kinderzimmerteppich verbrachte Nachmittage, an denen man sich nicht losreißen konnte von diesem Buch. "Jetzt werden wir nicht mehr sagen können, wir hätte von nichts gewusst", heißt es auf einem Plakat, dass die Überlebenden des Super-GAUs in "Die Wolke" aufhängen.

Das kann man nach der Lektüre wirklich nicht mehr behaupten. Da fliegt einem die Kleinstadt-Familienidylle schon ab Seite eins nur so um die Ohren - direkt aus der westdeutschen Provinzpiefigkeit in den Horrorfilm. Und dann die Albträume, die auf die Lektüre folgten: Flucht vor unsichtbarer, tödlicher Radioaktivität, sterbende Eltern, Haarbüschel im Kamm. Dieses unausweichliche Gefühl von der Fragilität des Lebens. Und dann stellt man fest: Bei uns in der Nähe steht auch ein AKW.

Das ist Gudrun Pausewang. Die pensionierte Lehrerin und Autorin wird nun 80 Jahre alt. Sie wohnt im Gebrüder-Grimm-Weg im osthessischen Dorf Schlitz und schreibt weiter an ihrem Oeuvre von mittlerweile fast 90 Büchern. Und so wie Astrid Lindgren ein Symbol für die heile Kindheitswelt in Holzpantinen ist, steht Gudrun Pausewang für einen äußerst moralistischen Kampf gegen die Übel des 20. Jahrhunderts und eine Lesergeneration von Schisshasen.

Frau Pausewang hat viele der Schreckensszenarien, die sie entwirft, selbst gesehen. Aufgewachsen in Ostböhmen als Tochter nationalsozialistisch gesinnter Eltern erlebte sie Krieg, Flucht und das wahre Wesen der Ideologie, in der sie erzogen wurde. In Büchern wie "Ich war dabei - Geschichten gegen das Vergessen" oder "Überleben" erzählt sie davon. In "Der Schlund" und "Die Meute" geht es um ein Erstarken des Rechtsextremismus in Deutschland, das große Thema der 90er-Jahre. Frisch promoviert über "Vergessene Jugendschriftsteller der Erich-Kästner-Generation" wurde Pausewang Lehrerin. In den 50er- und 70er-Jahren verbrachte sie jeweils mehrere Jahre in Südamerika, lebte und unterrichtete in Venezuela und Chile und bereiste Peru, Feuerland, das Amazonasgebiet. In diesem Jahren beschreibt sie in "Die Not der Familie Caldera" und "Der Streik der Dienstmädchen" das Leid der Armen in Südamerika.

Deutschlands Angst der 80er-Jahre ist die atomare Bedrohung: ein möglicher Atomkrieg, die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, die Anti-AKW-Bewegung - alles Themen, die in ihre Bücher fanden. "Die Wolke" und "Die letzten Kinder von Schewenborn" sind damit eigentlich die schlimmsten Bücher. Denn das Böse in ihnen ist unsichtbar und unbesiegbar, es hat keine Menschengestalt, wie etwa in "Adi - Jugend eines Diktators". Und es ist nicht furchtbare, bereits erlebte Vergangenheit - sondern tatsächlich mögliche und in seinem Schrecken noch unbemessene Zukunft. Perfide, den Atomhorror der "Wolke" im eigenen Wohnort anzusiedeln? Für die Schlitzer Kinder und Pausewang-Schüler muss das Trauma ja noch größer sein!

Eines dieser Kinder ist Florian Illies, inzwischen Journalist, Autor und Erfinder der "Generation Golf". Als eine seiner Heldinnen aus der Heimat bezeichnet Illies Gudrun Pausewang in einem Interview, als Widerstandsgeist. Wenn sein Buch eine Antwort auf "Die Wolke" ist, dann eine deutliche: leichte gegen schwere Kost, Oberfläche gegen eine Erschütterung der Grundfeste. Gudrun Pausewang schwingt gern die Moralkeule, in ihren Geschichten gibt es Gut und Böse, das ist alles recht einfach gestrickt. Beinahe Agitprop. Doch sie allein auf die Schreckenswirkung ihrer politischen Bücher zu reduzieren, wäre unfair. Sie hat auch nette Kinderbücher geschrieben, über den "Räuber Grabsch" etwa oder über den "Spinatvampir". Allein: Im Gedächtnis bleibt eben die Erinnerung der vor Panik und Entsetzen aufgestellten Armhärchen, wenn Janna-Berta und ihr Bruder Uli elternlos vor der "Wolke" flüchten. Oder wenn die Mutter in "Die letzten Kinder von Schewenborn" nach dem Atombombenabwurf ein Kind ohne Augen gebiert, dass der Vater in einer Schachtel davonträgt. "Tu ihr nicht weh", schluchzt ihm die ältere Tochter noch hinterher.

Und so werden die Angst und ihr Roman "Die Wolke" die wohl am stärksten mit ihr assoziierten Dinge bleiben. Schon im Erscheinungsjahr wurden fünf Auflagen gedruckt und 1986 war eine Schallplatte mit literarischen Kurzlesungen der Renner: Die Grünen-Ikone Petra Kelly las aus "Die Wolke".

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.