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■ Die Wochenendrandale in Hannover erinnert an längst vergangene Tage und erregte ziemlich die GemüterZur Abwechslung mal Punks

„Was ist mit unserer Jugend los?“ fragen seit dem Wochenende wieder einmal sämtliche Medien der Republik. Nicht etwa die, die am besten qualifiziert wären, seriöse Antworten zu geben, etwa die in Hannover dabeigewesenen Punks und Skinheads, sondern – getreu dem Motto: Trau keinem unter 30 – lieber uns. Die Experten. Die, die jederzeit zu allem kompatible Antworten und keine überflüssige Betroffenheit garantieren. Also die, gegen die die Randale von Hannover sich auch richtete. Die, die sich immer nur empören, wenn Gewalt sichtbar wird (daß Gewalt sichtbar wird). Durch besondere Originalität fallen wieder einmal die ordnungspolitischen Hardliner auf. Bundesgrenzschutz gegen Jugendliche, Festnahmen bereits vor der Tat, umfassende erkennungsdienstliche Behandlung. Genau das war ja der Anlaß der Chaos-Tage vor zehn Jahren gewesen.

Was all den nervösen Medienleuten, all den Lehrern und Politikerseelen am meisten Kopfzerbrechen bereitete, war interessanterweise nur ein Nebensatz in einer Agenturmeldung: Punks seien auch in eine private Wohnung eingestiegen, hätten dort randaliert und den Fernseher aus der Wohnung geworfen. Da kommt plötzlich auch bei progressiven Wellenreitern Betroffenheit auf. Klar, fanden wir früher auch gut, bei Udo Lindenberg. Aber da hatten wir ja auch selbst noch keinen Farbfernseher und nicht diese teure neue Videoanlage und... Punk, Gewalt gegen rechts, ist ja gerade noch akzeptabel. Aber gegen das Eigentum unbescholtener BürgerInnen vorzugehen, das ist ja nun nicht mehr politisch korrekt.

War Hannover der Auftakt zu einer neuen Bewegung gegen den rechten Terror? Hoffen nun wenigstens die Gutmeinenden, die sich noch schwach erinnern, vor zehn Jahren gelernt zu haben, daß Punk ja was Progressives, Antikapitalistisches sei. Ja. Hannover war auch ein Ausdruck der Wut über die rechten Exzesse. Und die Passivität der Mehrheitsgesellschaft. Nein, war es auch wieder nicht. Die meisten Punks sind nicht im klassischen Sinne links. Auf kontinuierliches politisches Engagement haben sie ebensowenig Bock wie auf ständige militante Auseinandersetzungen mit Faschos und anderen. Punks sind gegen Staat, Marktwirtschaft und Spießer. Das schließt Nazis selbstverstänldich ein. Aber eben auch die, die für ihr Mitmachen und Nichtstun längst Ausreden entwickelt haben.

Eine Gesellschaft, die es schafft, die sechs Kinder und Jugendlichen, die sich hierzulande täglich umzubringen versuchen, locker zu übersehen, hat keinerlei moralisches Recht, sich über randalierende und plündernde Jugendliche zu empören. Die große Mehrheit der Jugendlichen lehnt Gewalt und Gewalttäter jeglicher Couleur ohnehin ab. Die große Mehrheit, vor allem Mädchen, frißt ihre Aggressionen lieber in sich hinein. Randalierende Jugendliche sind da eine konstruktive Alternative, so lange notwendig, wie diese Gesellschaft keine würdigen Antworten auf die Probleme von Jugendlichen zu geben weiß. Klaus Farin

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