: Die Wochen der Wahrheit
Nach dem ebenso mageren wie wichtigen 1:0 über Hansa Rostock einigt sich die Berliner Hertha auf den Ausdruck „Arbeitssieg“, klettert auf Rang vier und blickt nach vorne. Dort sind Bayern, Schalke und Leverkusen zu sehen
von FRANK KETTERER
Der Frohsinn tobte in regelmäßigen Abständen durch die gut gefüllte Großbaustelle. 1:0 nach gut 20 Minuten, 2:0 nach weiteren 40, 10 Minuten vor Spielende schließlich folgte auch noch Treffer Nummer drei – und immer wurde die frohe Botschaft mit einem sanften Blingeling angekündigt, bevor das jeweilige Zwischenergebnis aus Bremen auf der Anzeigetafel im Olympiastadion flimmerte. 0:3 verlor Huub Stevens an der Weser mit seinen Schalkern, und weil das ziemlich gut ist für Hertha, wurde jeder einzelne Treffer so bejubelt, als hätten ihn die Berliner selbst erzielt.
Die guten Nachrichten aus der Hansestadt sorgten freilich nicht nur für ebensolche Stimmung im Bau, sondern lenkten zumindest die Hertha-Fans unter den gut 42.000 Zuschauern ein wenig von der Ödnis auf der eigenen Spielwiese ab. Zwar gab es auch dort ein Tor zu befeiern, den Treffer des Alex Alves nämlich nach handgestoppten 66 Sekunden, danach aber verlor Hertha bald schon den Faden – und fand ihn auch bis zum Schlusspfiff nicht mehr wieder. Ganz im Gegensatz dazu die Gäste aus Rostock: Sie gaben nach Blitzrückstand und einer längeren Phase der Besinnung zumindest im zweiten Durchgang ihre durch ein anfängliches 4-5-1-System zementierte Betontaktik endlich auf, spielten zusehends mutiger nach vorne, auch weil plötzlich über die Flügel – und erarbeiteten sich prompt eine kleine Serie an Chancen, von denen gut und gerne zumindest eine ihr Ziel hätte finden können. „In der zweiten Halbzeit hatten wir das Spiel im Griff“, lamentierte später deshalb Hansa-Trainer Armin Veh. „Ein Remis wäre verdient gewesen“, fand er zudem nach der siebten Niederlage im siebten Auswärtsspiel in Folge. Immerhin spendete auch ihm die Anzeigetafel regelmäßig Trost, immer dann nämlich, wenn Tore der Münchner Löwen gegen den SC Freiburg eintrudelten. Drei Spieltage vor Rundenschluss hat Rostock nun neun Punkte Vorsprung auf die Badene und somit auf den Abstieg – das sollte reichen, auch wenn sich Veh mannhaft dagegen wehrte, vorzeitig Glückwünsche entgegenzunehmen.
Dass es am Ende reicht, hoffen sie weiterhin auch bei Hertha, wobei es beim Hauptstadtklub natürlich um weit größere Dinge geht als bei den Hansa-Kickern – um nichts weniger als die Qualifikation zur Champions League nämlich. Von Rang fünf auf vier sind die Berliner mit dem mageren 1:0 geklettert, nunmehr nur noch einen Punkt und zehn Tore entfernt von der Endstation Sehnsucht, dem seit Samstag von den Münchner Bayern bevölkerten dritten Platz – und dem damit verbundenen Millionensegen aus der Liga der europäischen Hochfinanz. Der könnte auch in der Hauptstadt die ein oder andere anhängige Entscheidung in Sachen Neuverpflichtungen um so vieles erleichtern, man denke da nur an den Brasilianer Luizao, der auf Herthas Wunschzettel ganz oben steht, bei bisher geforderten 10 Millionen Euro Gehalt für vier Jahre aber auch nicht ganz billig ist, zumal in Zeiten wie diesen.
So galt der Blick zurück am Samstag wenig, schon gar nicht der aufs müde Spiel gegen Hansa. „Das frühe Tor war vielleicht sogar Gift für uns“, fand Hertha-Übungsleiter Falko Götz, unter dessen Anleitung die Berliner die Punkte 23, 24 und 25 holten – im zehnten Spiel. Ansonsten verständigte man sich nahezu unisono auf den Ausdruck „Arbeitssieg“, hakte Rostock ab und schaute in die nächste Zukunft, wo die Wochen der Wahrheit anstehen, was in Herthas Fall mehr ist als nur eine Floskel. Am Samstag geht’s zu den Münchner Bayern, die Woche darauf kommen Schalke und Stevens, beides Konkurrenten im Streben nach der Champions League; dann folgt das Finale furioso in Leverkusen. „Wir haben eine gute Ausgangsposition“, fand Mannschaftskapitän Michael Preetz am Samstag. Und: „Wir haben es selbst in der Hand.“
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