Die Woche: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
Günter Grass ist gaga, und auch wir haben uns rückentwickelt - aber besonders um Angela Merkel steht es schlecht.
taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht letzte Woche?
Friedrich Küppersbusch: Mir, beim Medientenor "Linksautonome prügeln sich mit Polizei in Dortmund".
Was wird besser in dieser?
Die Recherche.
Teilen des Gaddafi-Clans gelang die Flucht nach Algerien, Tochter Aisha brachte dort sofort eine Tochter zur Welt - Startschuss für eine neue Dynastie?
Viele wünschen Gaddafi persönlich einen extrem flachen Startschuss ungefähr in Herzgegend; dagegen nimmt sich die humane Geste Algeriens gegenüber einer Hochschwangeren bedenklich verwestlicht aus. Frankreich hat in den Neunzigern das Militärregime Algeriens herbeigeführt, nachdem die "Islamistische Heilsfront" die Wahlen gewann. Nun äußert sich Außenminister Juppé enttäuscht über das Regime von Paris Gnaden. Vielleicht ein Ausblick in die Zukunft Libyens.
ist Journalist und Fernsehproduzent. Jede Woche wird er von der taz zum Zustand der Welt befragt.
Die Rebellen in Libyen sollen Frankreich ein Drittel ihres Öls versprochen haben, weil sie Gaddafi wegbomben halfen. Ist Sarkozy cleverer als Merkel?
Sarkozy ist eine Posaune mit Föhnfrisur. Er hat den Aufständen in Ägypten und Tunesien tatenlos zugeguckt, und er war Gaddafis eifrigster Büttel, wenns um lukrative Deals ging. Nun macht er einen auf Befreiungstheologe - und lässt sich vom nächsten libyschen Regime kaufen: Die 35 Prozent ihrer Ölförderung versprachen die "Rebellen" laut Libération wörtlich "in Anerkennung der Unterstützung für den Übergangsrat": Öl statt Wahl. Das wird Frankreichs Ölkonzern Total total nicht schlimm finden. Merkel ist auch durch die Stimmung vor den Landtagswahlen im Frühjahr zu besonnener Politik gezwungen worden. Wer sie trotzdem nicht mag, kann einfach ihre Bevölkerung nett finden, in diesem Punkt.
Berlusconi will sein "Scheißland, bei dem ich kotzen könnte" demnächst verlassen und sich fortan nur noch um seinen eigenen Kram kümmern - was plant Silvio als Nächstes?
Na ja. Scheiße brennt nicht, die Nero-Nummer würde sich ein bisschen hinziehen.
Versandhauserbe Michael Otto und eine Menge anderer Geldsäcke wollen gern mehr Steuern zahlen - warum lässt man sie nicht einfach?
Wieso bekomme ich Kindergeld, während Hartzisten um Zuschüsse für Blockflötenunterricht betteln müssen? Das Gerechte an dem ganzen Umverteilungsirrsinn sind die grausamen Wahlergebnisse für die SPD. Schröder hat eingelöst, was Lambsdorff und Kohl nur versprochen hatten. Nun müsste Merkel die Gesellschaft sozialdemokratisieren. Das ist nicht so ihr Ding.
Nobelpreisträger Günter Grass verrechnet die Holocaustopfer mit den 6 Millionen deutschen Soldaten, die in sowjetischen Lagern "liquidiert" wurden. Wie finden Sie das?
Erstens gaga - es waren circa drei Millionen deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion, von denen circa eine Million zu Tode kamen, eher durch die Haftbedingungen als durch "Liquidationen". Zweitens schade. Grass weiter: "Wir tragen die Verantwortung für die Verbrechen der Nazis, aber ihre Verbrechen fügten auch den Deutschen schlimme Katastrophen zu, und so wurden sie zu Opfern." Diesen Gedanken, dass die Täter auch Opfer wurden, sollte man nicht NPD und Co überlassen. Ein typischer Grass: auf der Brille in die Hose.
Wikileaks und die Datenpanne. Die Identitäten einiger hundert Informanten der US-Regierung sind frei im Netz zugänglich. Ist das das Ende solcher Enthüllungsplattformen?
Nö, wir haben etwa mit "Guttenplag" schon weiter entwickelte Formen erlebt. In der Debatte um die Wikileaks schwingt manchmal ein etwas eifersüchtiger Ton der "alten" Enthüllungsmedien mit; und natürlich widerspricht das Assange-Konzept als One-Man-Show grundsätzlich der Schwarmintelligenz des Netzes.
Superministerin Ursula von der Leyen hat Gefallen an den ganz großen Fragen der Politik gefunden: dem Euro etwa. Warum wildert die immer wieder in fremden Revieren?
Ihr Vater Ernst Albrecht wollte auch mal kurz Kanzler werden, Bremer Parteitag gegen Kohl, vielleicht ist so was erblich.
10 Jahre sind seit 9/11 vergangen. Wie hat sich Ihr Weltbild durch die Anschläge verändert?
Rückentwickelt. Ich hätte uns bis dahin Glaubenskriege nicht mehr so flächendeckend zugetraut.
Und was machen die Borussen?
"Dass wir uns so wiedersehen", grüßte Dortmunds OB Ulrich Sierau aus den Reihen gewaltloser Blockierer den Polizeipräsidenten der Stadt, der gegenüber mit 4.000 Mann das Versammlungsrecht von Nazis schützte. Okay, das hat nix mit Fußball zu tun, doch die Nazis haben auch nix mit Dortmund zu tun. Jedenfalls hoffentlich bald nicht mehr.
Interview: KAT, MCB
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut