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Die Wirklichkeit castet schlecht

Die Ermittler und ihre fieberhafte Suche quer durch die USA

Die Spur in Alabama führt zu einem Fingerabdruck und der zu einem Namen

aus Washington BERND PICKERT

Charles Moose hatte Glück. Lange hätte der 49-jährige Polizeichef des nach drei Wochen Scharfschützenmorden weltberühmten Montgomery County im US-Bundesstaat Maryland dem Druck nicht mehr standhalten können. Immer lauter waren die Stimmen geworden, die ihn für überfordert hielten. Journalisten, die keine Fakten berichten konnten, konzentrierten sich auf den Mann, der das Gesicht dafür hergab, dass da keine Fakten zu berichten waren. Zwischen Verlierer und Held gab es keine Rolle für Charles Moose.

Er kann nicht viel dafür, dass er nun ein Held ist. Der Scharfschütze hat ihn bekannt gemacht, und der Scharfschütze hat ihm geholfen, den Fall zu lösen. Eitelkeit? Buhlen um Anerkennung? Moose gibt sich bescheiden. Seinen größten Moment, den Auftritt vor der Presse, bei dem er die Lösung des Falles bekannt geben darf, verschiebt er am Donnerstag immer weiter nach hinten. Die Pressekonferenz in der kleinen Medienzeltstadt vor dem Polizeihauptquartier in Rockville ist ursprünglich für 12 Uhr mittags angekündigt – doch erst um 8 Uhr abends treten Moose und die anderen leitenden Ermittler vor die Presse. Und nicht mal Moose selbst, sondern Chefballistiker Michael Bouchard gibt die wichtigste Nachricht bekannt, die den letzten Zweifel ausräumen kann: Das Gewehr, das die Ermittler im Wagen der Festgenommenen fanden, ist die Tatwaffe.

Es war eine winzige Spur, der die Ermittler nachgingen, sie hätte eine Ablenkung sein können, sie hätte einfach falsch sein können – doch sie führte zur Verhaftung der mutmaßlichen Täter. Schon am Donnerstag letzter Woche, so will es CNN erfahren haben, meldet sich bei der Polizei ein wütender Mann, der sich als der Sniper ausgibt und sich rühmt, schon vorher getötet zu haben: in Montgomery. Die Ermittler wissen damit nichts anzufangen. Einen Tag später meldet sich ein Pfarrer: Ein Mann habe ihn angerufen und sich mit einem Mord in Montgomery gebrüstet, aber gemeint sei nicht Montgomery County in Maryland, sondern Montgomery, die Hauptstadt des Bundesstaates Alabama im Süden der USA.

Am vergangenen Wochenende nehmen die Ermittler aus Maryland Kontakt zur Polizei in Alabama auf und finden eine mögliche Verbindung zu einer ungeklärten Schießerei am 21. September. Beim Überfall auf einen Getränkeladen dort waren eine Frau getötet und eine weitere schwer verletzt worden. Der Täter entkam zu Fuß. Ein Fingerabdruck auf einer Illustrierten in dem Laden stellt sich als derjenige von John Lee Malvo heraus, einem 17-jährigen Jamaikaner, dessen Abdruck sich in der Datenbank der Einwanderungsbehörde befindet, da er als illegaler Einwanderer erwischt worden war.

Am Dienstag Früh erschießt der Scharfschütze sein letztes Opfer: Als ob er Chief Moose noch einmal seine Macht beweisen will, tötet er er einen Busfahrer mitten in Montgomery County. Moose muss es hinnehmen. Der Druck steigt. In diesem Moment soll der Sniper in den Telefonaten mit der Polizei angeblich 10 Millionen Dollar gefordert haben, zu überweisen auf ein Konto in Jamaika.

Inzwischen sind die Ermittler ein Stück weiter. Über Malvos Fingerabdruck sind sie auf dessen Verbindung zu dem 41-jährigen John Allen Muhammad gestoßen. „Wir haben in diesem Moment richtig aufgedreht“, berichtet eine Polizeiquelle, „endlich hatten wir einen Namen.“

Am Mittwochnachmittag durchsuchen die Fahnder ein Haus in Tacoma im Bundesstaat Washington an der Westküste der USA. Es ist das Haus, in dem Muhammad wohnte, während er als Armeeangehöriger im nahe gelegenen Fort Lewis stationiert war. Sie finden Patronenreste von Schießübungen im Garten.

Ein Eintrag im Verkehrsregister ergibt, dass die Polizei Muhammad am 8. Oktober, einen Tag nach einem der Scharfschützenangriffe, kontrolliert hatte: in einem Chevrolet.

Gegen Mitternacht in der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag tritt Moose vor die Presse und gibt die Daten der Gesuchten und des Fahrzeugs bekannt. Knapp eine Stunde später meldet sich der Lastwagenfahrer Ron Lantz per Telefon bei der Polizei: Er hat den Wagen auf einem Rastplatz in Maryland gefunden. Die Verhaftung der im Auto schlafenden Männer verläuft problemlos.

Im Auto finden die Ermittler ein Gewehr, Typ Bushmaster XM15 A3 M4, Kaliber .223, eine Art zivile Version des M-16-Sturmgewehrs der US-Armee. Sie finden ein Stativ, ein Zielfernrohr und zwei Löcher im Kofferraum des Autos – eines für den Lauf der Waffe, eines für das Fernrohr. Die Rückbank kann weggeklappt werden, so dass die Beine eines liegenden Mannes Platz finden – eine perfekte Schützenplattform.

All das aber kann Chief Moose der Presse nicht erzählen, er darf die Einzelheiten nicht bekannt geben. Denn noch wartet ein Prozess, und die Geschworenen müssen unvoreingenommen sein, sonst scheitert die Verurteilung. Wie es möglich sein soll, eine Jury zu finden, deren Mitglieder von allem nichts mitbekommen haben und daher unbelastet in die Beweisaufnahme gehen, weiß niemand. Nur Charles Moose weiß, dass er nichts erzählen darf – vielleicht die schwierigste Aufgabe an diesem Donnerstag, am Ende der Sniper-Saga.

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