piwik no script img

SeitenstichDie Windmacher

■ Über ein herzergreifendes Straßentheater

Gebenedeit sei unsere kleine Stadt, allwo seit Wochen das wunderbarste Theater stattfindet. Mal hie und mal da tauchen die seltsamsten Existenzen auf im Stadtbild; in allen Straßen kann man sie treffen und in allen Parkanlagen. Man sieht sie bloß nicht gleich, denn die Schauspieler haben sich als Straßenkehrer verkleidet.

Sogleich aber fangen sie an mit ihrem Stück, und es erhebt sich ein mörderisches Geknatter, und ringsum wirbelt meterhoch das Laub auf, da doch aufs Gewaltigste der Hauptdarsteller mit seiner Windmaschine dreinfährt. Mit einem langen Pusterohr fuhrwerkt er in den Moderhaufen herum; auf dem Rücken trägt er den dazugehörigen Rasenmähermotor, der außer einem Höllenlärm auch noch eine Menge Windes macht, und bald ist aber die Wirrsal unbeschreiblich, weil ja auch der gottgegebene Wind, wie er seit Urzeiten durch die Stadt heult, sich keinesfalls lumpen läßt und mittels grandioser Böen das Menschenwerk wieder zunichte weht.

Die Szene ist großartig. Inmitten von Lärm und Gestank der Maschinistendarsteller mit seinem Gebläse, wie er durch die Landschaft springt und hierhin und dorthin zugleich bläst, umflattert von bunten Unmengen Laubes, die ja der Wind mit Heißa sogleich wieder erfaßt hat, um sie himmelhoch emporzuwirbeln.

Nach einigen Wochen tauchte einer auf, der führte ein noch mächtigeres, vollends absurdes Gebläse auf einem Schubwägelchen mit sich. Mit diesem aber hatte der Wind besonders viel Freude, und es wäre dem Manne wohl niemals gelungen, mit all seinem Getöse auch nur ein einziges Laubhäufchen zusammenzublasen, wenn nicht die Regie ein paar Nebendarsteller mit alten Besen ausgerüstet hätte.

Das Publikum aber war glücklich. Nur bezüglich der Urheberschaft hat es noch Zweifel. Wer wollte ihm auch einreden, daß ausgerechnet die Bremischen Entsorgungsbetriebe ein Stück von Beckett aufführen, welches der Autor noch nicht einmal geschrieben hat. schak

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen